Beethovens Große Fuge

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
nihil.sine.causa
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Beethovens Große Fuge

Beitrag von nihil.sine.causa »

Hallo zusammen,

wenn ich es nicht übersehen habe, gibt es bislang keinen Thread zum Thema Beethovens Große Fuge, op. 133, B-Dur. Das ist eine Lücke. Dieses Stück für Streichquartett ist in vieler Hinsicht einmalig. Wenn man das Werk unvorbereitet hört, kann man schnell auf die Idee kommen, dass es im 20 Jh. komponiert wurde.

Warum komme ich jetzt damit? Ich habe einen Anlass: Das junge Malion Quartett hat eine ungewöhnlich Produktion der großen Fuge auf YouTube veröffentlicht:

https://www.youtube.com/watch?v=8fwW09Zwrg4&t=2s

Hört mal rein. Die etwas andere Art Streichquartett zu präsentieren...

Viele Grüße
Harald
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Horse Tea
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Beitrag von Horse Tea »

nihil.sine.causa hat geschrieben: 26.06.2022, 21:37 Dieses Stück für Streichquartett ist in vieler Hinsicht einmalig. Wenn man das Werk unvorbereitet hört, kann man schnell auf die Idee kommen, dass es im 20 Jh. komponiert wurde.
Hallo Harald,

da kann ich Dir nur zustimmen und wir sind in bester Gesellschaft, weil Strawinsky das Quartett im 20. Jahrhundert als das modernste bezeichnet hat.

Meine favorisierte Aufnahme der Vergangenheit ist mit dem Talich Quartett, Jahrzehnte alt, wie ich auch.

Viele Grüße
Horst-Dieter
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nihil.sine.causa
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Beitrag von nihil.sine.causa »

Hallo Horst-Dieter,

danke für den Tipp mit dem Talich Quartett. Ich höre gerade mal rein. Die beherrschen dieses Monstrum auch. Ich höre op. 133 sonst auch sehr gern mit dem Alban Berg Quartett.

Aber habt Ihr mal in das Video reingesehen? Hier habe ich noch ein Foto gefunden:

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So ein YouTube Link allein ist etwas trocken.

Viele Grüße
Harald
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Hans-Martin
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Beitrag von Hans-Martin »

Horse Tea hat geschrieben: 26.06.2022, 22:06Meine favorisierte Aufnahme der Vergangenheit ist mit dem Talich Quartett, Jahrzehnte alt, wie ich auch.
+1
Grüße
Hans-Martin
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Fujak
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Beitrag von Fujak »

Hallo Harald,

ich finde es richtig prima, dass Du gerade dieses Stück von Beethoven hier vorstellst. Ein hartes Stück Brot auf dem man eine Weile kauen muss, bis sich die ganze Tiefe und Schönheit dieser Musik erschließt; dann aber kann sie begeistern - mich jedenfalls. Was mir dabei geholfen hat, ist diese Analyse: https://www.youtube.com/watch?v=KQcHPhYEoJY, die ich außergewöhnlich gut finde.

Grüße
Fujak
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Thomas K.
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Beitrag von Thomas K. »

Danke Harald,

für die Vorstellung dieser Aufnahme. Ich bin hingerissen!

Viele Grüße
Thomas
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Jupiter
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Beitrag von Jupiter »

Hallo Harald,

Interessant ist auch der Artikel

Nach einer Aufführung des Streichquartetts op. 130 am 21. März 1826 durch das Streichquartett-Ensemble von Ignaz Schuppanzigh (vor dem Austausch des Finalsatzes) beschrieb die „Allgemeine Musikalische Zeitung“ die ersten Sätze des op. 130 mit Attributen wie „mystisch“, und „voll von Frohsinn“ und „Schalkhaftigkeit“, schrieb jedoch über die Fuge:



Aber den Sinn des fugirten Finale wagt Ref. nicht zu deuten: für ihn war es unverständlich, wie Chinesisch. Wenn die Instrumente in den Regionen des Süd- und Nordpols mit ungeheuern Schwierigkeiten zu kämpfen haben, wenn jedes derselben anders fugirt und sie sich per transitum irregularem unter einer Unzahl von Dissonanzen durchkreuzen, wenn die Spieler, gegen sich selbst misstrauisch, wohl auch nicht ganz rein greifen, freylich, dann ist die babylonische Verwirrung fertig; dann giebt es ein Concert, woran sich allenfalls die Marokkaner ergötzen können, denen bey ihrer hiesigen Anwesenheit in der italienischen Oper nichts wohlgefiel, als das Accordiren der Instrumente in leeren Quinten, und das gemeinsame Präludiren aus allen Tonarten zugleich. Vielleicht wäre so manches nicht hingeschrieben worden, könnte der Meister seine eigenen Schöpfungen auch hören. Doch wollen wir damit nicht voreilig absprechen: vielleicht kommt noch die Zeit, wo das, was uns beym ersten Blicke trüb und verworren erschien, klar und in wohlgefälligen Formen erkannt wird.“
– „Allgemeine musikalische Zeitung“, 28 [1826], Sp. 310f.; zitiert nach Konzertberichte, S. 559f.


In der letzten Zeit habe ich sehr viel von GP Telemann gehört, heute die große Fuge entsprechend Deinem Vorschlag, jedoch vom Melos Quartett
Was soll ich sagen, es schießt einen sogleich 1000 Jahre in die Zukunft.

Avantgarde-Musik im Vergleich zu Telemann und den Barockkollegen

Gruß Harald
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Guten Abend,

meines Erachtens gibt es noch einige weitere erwähnens- und hörenswerte Alternativen zu den genannten Aufnahmen dieser wilden, exzessiven Großen Fuge voller Schroffheiten und Dissonanzen. In guter Erinnerung sind mir neben dem Suske-Quartett vor allem das Belcea-, das Takács- und vor allem das Artemis-Quartett geblieben.

Von letzterem gibt es eine schöne Video-Aufnahme (allerdings nicht mit der Originalbesetzung wie auf der CD von 2011, sondern eine Aufführung in Paris aus dem Jahre 2001 mit Heime Müller an der 2. Violine und Volker Jacobsen an der Viola):
https://www.youtube.com/watch?v=yU0C7QcNo1U

Viele Grüße
Jörg
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Horse Tea
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Beitrag von Horse Tea »

Hallo Jörg,

meiner Meinung nach war diese Besetzung keineswegs schlechter als die späteren, ja hat sogar den Ruhm des Artemis Quartetts überhaupt erst begründet.

Viele Grüße
Horst-Dieter
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Hallo Horst-Dieter,

sehe ich auch so. Die prägende Gestalt des Ensembles war für mich immer Eckart Runge am Cello, der die verschiedenen Besetzungen (bis 2019) wie eine Klammer (im positiven Sinne) stilgebend zusammenhielt.

Viele Grüße
Jörg
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Horse Tea
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Beitrag von Horse Tea »

Hallo Jörg,

natürlich off topic, aber Deine Bemerkung gibt mir Anlass in meinen Erinnerungen zu schwelgen. Für mich war, ohne irgend ein späteres Mitglied zurücksetzen zu können, DAS Artemis Quartett die Formation mit Natalia Prishepenko (bis 2012), die mich mit ihrer Energie, ihrer Leidenschaft und ihren in der Musik ausgedrückten Emotionen begeisterte. Gab es zuvor bei einem führenden Streichquartett eine Frau an der ersten Geige? Ich kann mich nicht erinnern. Der frühe Abschied von Volker Jacobsen (bereits 2007) aus dem AQ hatte mich ebenso betrübt, auch wenn er danach gleichwertig ersetzt wurde. Das wusste man aber zunächst einmal nicht. Diese und spätere Wechsel in der Besetzung lassen erahnen, welche Belastung der Musikbetrieb in den 2000ern mit sich brachte. Heute ist das eher noch schlimmer geworden. Wer kann auf diesem Niveau in dieser Zeit noch öffentlich jahrzehntelang Musik machen?

Viele Grüße
Horst-Dieter
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Hallo Horst-Dieter

die Formation mit Natalia Prishepenko habe ich nie live erleben können und kenne nur ihre Artemis-Aufnahmen. Von daher war dein Input eine willkommene Anregung, sich in Ruhe durch ihre sonstigen Alben durchzuhören. Und so kam es, dass ich seit 2 Tagen einigen unglaublich faszinierenden, ja herausragenden Interpretationen bei Qobuz lausche - und dabei zudem noch einen mir unbekannten Komponisten kennengelernt habe.

Dazu schreibe ich demnächst, wenn ich etwas mehr Zeit habe, mal in einem anderen Thread mehr - hier sei es nun genug OT (sorry, Harald!).

Beste Grüße
Jörg
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nihil.sine.causa
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Beitrag von nihil.sine.causa »

Liebe Freunde des Streichquartetts,

ich persönlich habe nichts dagegen, wenn ihr in Erinnerungen schwelgt. Das gibt ja auch immer Anregungen, mal in die betreffenden Aufnahmen hineinzuhören.

Aber vielleicht doch noch einmal zurück zu dem eigentlichen Anlass für diesen Thread. Habt ihr euch denn das Malion-Quartett angesehen? Hier nochmals der Link:

https://www.youtube.com/watch?v=8fwW09Zwrg4

Aus meiner Sicht ist das eine ganz besondere Inszenierung der Großen Fuge. Goethe schreibt von der Gattung des Streichquartetts "Man hört vier vernünftige Leute sich unterhalten, ..." Das kenne ich von vielen Streichquartett-Aufführungen und -Aufnahmen. Das Malion-Quartett geht weit darüber hinaus. Es wird sehr emotional und packend.

Die Musiker*innen übersetzen die polyphone Struktur in eine emotionale Auseinandersetzung zwischen den Stimmen. Es ist wie Rede und Gegenrede, Behauptung, Einwurf, Widerlegung, Streit, Versöhnung. (Selbst wenn die verschiedenen Stimmen über weite Strecken „eigentlich nur“ das Thema wiederholen, so geschieht dies auf eine äußerst lebendig-dialogische Weise.) Alles auf einer sehr menschlichen Ebene, indem sie als Menschen und Musiker*innen in einer ganz besonderen, lebendigen, ja intimen Weise kommunizieren. Und dabei bleibt es in meinen Ohren werktreu, wird nicht manieristisch o.ä. Gerade bei einem Werk wie der großen Fuge, das doch sehr abstrakt daherkommt, hätte ich nicht gedacht, dass das so gut funktioniert. Das setzt tiefe Werkkenntnis, Leidenschaft und volle, „bedingungslose“ Präsenz voraus, wie ich es bei einer Streichquartettbesetzung in dieser Kombination noch nicht erlebt habe.

Geht es euch ähnlich? Kennt ihr ähnlich emotionale, packende Interpretationen der Großen Fuge?

Viele Grüße
Harald
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fredonheadphone
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Beitrag von fredonheadphone »

Momentan höre ich etwas anderes (1), werde mir das auch bald anhören!

1) STRING QUARTETS vol. I: Haydn-Solberg-Grieg - Engegårdkvartetten viewtopic.php?f=17&t=13630
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nihil.sine.causa
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Beitrag von nihil.sine.causa »

Hallo Fujak,
Fujak hat geschrieben: 27.06.2022, 09:43 Ein hartes Stück Brot auf dem man eine Weile kauen muss, bis sich die ganze Tiefe und Schönheit dieser Musik erschließt; dann aber kann sie begeistern - mich jedenfalls. Was mir dabei geholfen hat, ist diese Analyse: https://www.youtube.com/watch?v=KQcHPhYEoJY, die ich außergewöhnlich gut finde.
Diese Analyse von Richard Atkinson kannte ich noch nicht. Jetzt hatte ich endlich Gelegenheit, sie mir genauer anzusehen. Sie ist wirklich stark! Ich kenne die Große Fuge jetzt schon "ewig" und entdecke immer wieder etwas Neues, wenn ich sie höre. Die Analyse zeigt mir aber, dass ich von der eigentlichen Struktur dieses Werks nur eine sehr blasse Vorstellung habe. Room for improvement also! Herzlichen Dank für diesen großartigen Tipp!

Viele Grüße
Harald
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