Mozart - Symphonie Nr. 28: ein kleiner Vergleich

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
Antworten
Melomane
Aktiver Hörer
Beiträge: 3114
Registriert: 14.10.2011, 18:30

Mozart - Symphonie Nr. 28: ein kleiner Vergleich

Beitrag von Melomane »

Hallo,

ausgehend davon:
Melomane hat geschrieben: 20.03.2021, 11:57
hier lief vorhin schon diese CD (Discogs hat die offenbar nicht, deswegen der link zum Erzeuger):

https://audite.de/de/product/CD/95591-r ... ebird.html

Also Karl Böhm mit dem damaligen Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester. Nun ist ja Böhm wohl ein wenig in Vergessenheit geraten. Persönlichkeit, NS-Nähe und "überholte" Musikauffassung trugen mutmaßlich das ihre dazu bei. So war es nur der Sonderangebotspreis (nicht beim Erzeuger ;) ), der mich zuschnappen ließ. Und ich bin in mehrfacher Hinsicht angesprochen worden.

...

Da ist 2. ein Mozart, der verstehen lässt, warum seinerzeit Harnoncourt die Flucht ergriffen hat. Dennoch klingt die Mozartsinfonie sehr schön, auch und gerade aufgrund der Klangfarben. Wiederum eine Aufnahme aus den 70ern, diesmal von 1973. Aber spielen würde man das halt heute nicht mehr so. Aber es bereitet trotzdem Vergnügen, das so wieder zu hören, wie es vergangene Generationen geschätzt haben.

...
ergab sich heute morgen ein kleiner Vergleich von vier Einspielungen dieser Symphonie Nr. 28 von Mozart.

Und zwar waren dabei vertreten:

1. Böhm I mit seiner Gesamteinspielung der Mozartsymphonien mit den Berliner Philharmonikern aus den 1960er Jahren. Und zwar als CD-Wiederveröffentlichung:
https://www.discogs.com/de/Wolfgang-Ama ... se/5738149

2. Adam Fischer mit dem Danish National Chamber Orchestra 2013:
https://www.discogs.com/de/WAMozart-Ada ... se/6456611

3. Böhm II mit den Kölnern, also die neulich erwähnte Einspielung.

4. Roger Norrington mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart:
https://www.prestomusic.com/classical/p ... ies-vol-vi

In der Reihenfolge wurde auch gehört, nur einmal. Kein Hin und Her und nochmal.

Zum Folgenden: Meine Ohren, meine Tagesform, meine Anlage. Und ich bin kein Musiker.

Und so ergab sich für mich:

Böhm I vertritt noch eine Konzeption, die auf wohltönenden Streicherklang ausgelegt war, quasi als Teppich mit dominierenden Violinen. Das führt im 4. Satz zu im wahrsten Sinne des Wortes schönem Spiel. Wenn auch das Vergnügen durch die Aufnahmetechnik oder die CD-Wiederveröffentlichung getrübt ist. Ein wenig blässlich klingt es. Leider habe ich im Moment keine LP zum Vergleich vor Ort. Jedenfalls geht die Sache im zweiten Satz völlig schief: Ein elendes Gedudel, ich habe das Gefühl, da habe jemand das Hamsterrad kurbelt. Auch sonst klingt die Musik in den Sätzen 1 und 3 ziemlich dudelig.

Da ist dann Adam Fischer ganz anders drauf. Heute wird eben sehr viel dynamischer agiert und sehr viel effektvoller, die übrigen Instrumente neben den Violinen sehr viel akzentuierter präsentiert. Das überzeugt insbesondere beim ersten Satz. Bei den folgenden stellt sich aber zunehmend der Eindruck ein, als werde im Sinne des Effekts jeder Klang direkt ausgeleuchtet. Manchmal habe ich das Gefühl, dass da kein Orchester mehr spielt, sondern eine Ansammlung von hell angestrahlten Instrumenten. Und beim 2. Satz werde ich das Gefühl nicht los, als habe man mit dem mit seinem Klangkonzept nicht viel anfangen können.

Ganz anders Böhm II. Erst im Vergleich erschließt sich, wie modern da schon gespielt wurde. Vor allem der zweite Satz ist eine Entdeckung: Temporückungen, dynamische Abstufungen, stärkere Betonung der tiefen Streicher und Bläser brechen den für Böhm I genannten Violinenteppich komplett auf. Und von Dudelei kann keine Rede mehr sein. Vielmehr wird da - um wieder einen Vergleich zu wagen - eine Blumenwiese evoziert, nicht mit einzelnen Pflanzen, sondern mit einem Ensemble von Blumen bzw. in diesem Fall der immer zusammen agierenden Instrumentengruppen. Böhm hat da vielleicht schon so einiges der damals noch nicht überall etablierten historischen Spielweise adaptiert.

Norrington entwickelt das Konzept dann quasi weiter, verliert aber das gemeinsame Orchesterspiel auch nicht aus den Augen. Erst im vierten Satz wird dann durch die akzentuierte Hervorhebung der Blechbläser gewissermaßen eine Brücke zu Adam geschlagen.

Für mich geht Böhm II als Entdeckung des Morgens durchs Ziel, auch deswegen, weil die Einspielung am besten aufgenommen wurde: Räumlich, transparent, schön klingende Violinen. Auch die übrigen Instrumente werden so gespielt, dass immer eine gewisse Eleganz beibehalten wird, ein brutales "Draufdreschen" gibt es nicht.

Nachher schau ich, ob ich auch noch Karajan im Fundus habe. Von wegen "schönem" Klang. ;)

Viele Grüße

Jochen
Bild
Melomane
Aktiver Hörer
Beiträge: 3114
Registriert: 14.10.2011, 18:30

Beitrag von Melomane »

Hallo,

zunächst mein Dank an die Moderatoren, den Beitrag hierher zu "verrücken". :cheers:

Denn nun sin ma so richtig im Vergleichsmodus. Nicht weil ich Fan der 28 wäre, sondern aus gegebenem Anlass (Böhm) und weil es Spaß macht.

Weiter geht es also mit

Bruno Walter und dem Columbia Symphony Orchestra in einer Einspielung aus dem Jahr 1954, also noch mono, aber zeittypisch durchaus schon gut anhörbar.

https://www.allmusic.com/album/mozart-t ... 0001391492

Walter steht der Ästhetik nahe, die sich auch bei Böhm I findet. Allerdings wird nicht ein Streicherteppich angestrebt, andere Instrumente finden ebenso Aufmerksamkeit. Walter geht den ersten Satz recht flott an. Den 2. dafür umso langsamer. Der Eindruck von Dudelei wird so vermieden, lauert aber gewissermaßen im Hintergrund. Nicht nur der Dudelei wird aus dem Weg gegangen, Mozart wird in dem Satz durch Tempo und Klangfarben auch zum Vorläufer der Romantik. Die übrigen Sätze verlaufen dann so. ;)

Nun zu

Charles Mackerras und dem Prague Chamber Orchestra 1988 von Telarc:

https://www.discogs.com/de/Mozart-Sir-C ... e/15874671

Das ist eine Einspielung, die keinem weh tut, sondern ein etwaiges Konzertpublikum, das nicht mehr die Ohren wie 50 Jahre zuvor hat, trefflich bedient haben dürfte. Gelangweilt hat sich das bestimmt nicht. So gesehen ist die Einspielung ein schönes Zeugnis dafür, dass die Neuerungen der historisch Informierten Eingang auch in den Konzertalltag gefunden haben und das gewiss nicht zu dessen Nachteil. Und so haben wir hier eine noble, elegante Version mit Akzentuierungen, die nicht in Extreme abdriften. Auch in Sachen Aufnahmetechnik klingt es schön und passend.
Bild
alcedo
Aktiver Hörer
Beiträge: 1930
Registriert: 09.12.2019, 20:21
Wohnort: NRW

Beitrag von alcedo »

Hallo Jochen,

deine Vergleiche der 28. Symphonie machen richtig Spaß zu lesen. Und muntern mich zumindest auf, dies daheim mal nachzuhören :cheers:

Sollte dies anderen auch so gehen, wirst du sicherlich die noch unbesprochenen Mozart Symphonien (sind ja nur noch 40 plus ein paar ihm zugeschriebene Symphonien) vergleichen dürfen ;-)

Dankbare Grüße
Jörg
Bild
Melomane
Aktiver Hörer
Beiträge: 3114
Registriert: 14.10.2011, 18:30

Beitrag von Melomane »

Der Blick richtet sich nun auf

Trevor Pinnock und The English Concert (1994):

https://www.discogs.com/de/Wolfgang-Ama ... e/17180434

Der ist am ehesten mit Norrington vergleichbar. Ist ja auch kein Wunder, fehlt eigentlich nur noch Gardiner, um das Trio zu vervollständigen. Den hätten wir aber nicht. Pinnock seinerseits musiziert für meine Ohren spannender als Norrington. Denn er lässt prägnanter spielen und achtet mehr auf die Darstellung der Klangfarben als Norrington. Eine für mich sehr gelungene, harmonisch wirkende Einspielung dieser Symphonie. Wer allerdings mehr auf Effekte Wert legt, greift eben zum 4. Satz bei Norrington und vor allem Fischer.

Damit hätte ich fertig. ;) Mehr Aufnahmen der 28. finden sich nicht in meinem Bestand. Offenbar gehörte nur für die CBS/Walter diese Symphonie zu den "großen". Andere bekannte Dirigenten haben offenbar einen Bogen darum gemacht. War ihnen vielleicht zu dudelig. ;)

Jedenfalls freute es mich, wenn andere Beiträge weitere Einspielungen vorstellen könnten.

Qobuz will noch Peter Maag haben. Da werde ich mich gleich ransetzen.

Viele Grüße

Jochen
Bild
Melomane
Aktiver Hörer
Beiträge: 3114
Registriert: 14.10.2011, 18:30

Beitrag von Melomane »

Hallo Jörg,

danke für die Blumen. Aber es muss nicht immer Ka..., äh Mozart sein. ;)

Zum Maag. Der liegt bei Qobuz so vor:

https://www.qobuz.com/de-de/album/mozar ... umxxswd9yb

Eine alte Decca-Einspielung mithin aus Monozeiten. Mit Ansermets L'Orchestre de la Suisse Romande. Und als Monoproduktion nicht mehr wirklich konkurrenzfähig für heutige Hörgewohnheiten. Aber nach dieser Enttäuschung kommt dann Faszination auf. Denn Maag's Dirigat ist das erste und einzige in meinem Vergleich, das Mozart gewissermaßen zu Wort kommen lässt, ihn reden lässt. Es wird gewissermaßen eine Geschichte erzählt. Ich weiß zwar nicht welche, aber die ganze Gestaltung unterscheidet sich von allen anderen und das mit den Mitteln der damaligen Zeit. Die Dudelei ist zwar da, nervt aber nicht - sie ist quasi Teil der Erzählung. Nun ja, meine Ohren, meine Tagesform. Und ich mag den Maag halt. Und diese Vorliebe findet sich wieder einmal bestätigt, hier völlig unerwartet.

Da fällt mir ein: Ich habe als LPs noch eine Vox-Box mit einer Gesamteinspielung der Mozartsymphonien, an der Maag auch beteiligt war. Da muss ich bei Gelegenheit noch mal ran.

Edit: Nein, in der Box spielt Günter Kehr die 28 mit dem Mainzer Kammerorchester.

Viele Grüße

Jochen
Bild
alcedo
Aktiver Hörer
Beiträge: 1930
Registriert: 09.12.2019, 20:21
Wohnort: NRW

Beitrag von alcedo »

Melomane hat geschrieben: 22.03.2021, 13:06 Damit hätte ich fertig. ;) Mehr Aufnahmen der 28. finden sich nicht in meinem Bestand. Offenbar gehörte nur für die CBS/Walter diese Symphonie zu den "großen". Andere bekannte Dirigenten haben offenbar einen Bogen darum gemacht. War ihnen vielleicht zu dudelig. ;)

Jedenfalls freute es mich, wenn andere Beiträge weitere Einspielungen vorstellen könnten.
Hallo Jochen,

ich konnte deiner höflichen "Aufforderung" nicht widerstehen (und habe ausserdem recht viel Zeit zum Musikhören) und so habe ich mir deine obigen Interpretationen ebenfalls angehört. Okay - nicht komplett 😇. Ich kann deine Höreindrücke größtenteils nachempfinden. Nur mit Peter Maag kann ich mich nicht wirklich anfreunden - an meine Ohren dringt seine Geschichte jedenfalls nicht. Vielleicht auch tageszeitabhängig :lol:

Vom topfigen Klang her ähnlich, aber in meinen Ohren mit wärmerem Ton und recht guter Interpretation ist die Aufnahme mit dem leider auch schon vergessenen Dirigenten Karl Ristenpart mit dem saarländischen Kammerorchester (für dich als Wahl-Saarländer, Jochen, quasi Pflichtdirigent :cheers: )

Zu deiner obigen Aussage kann ich eine kleine Ergänzung hinzufügen: zumindest bei Qobuz habe ich einige Aufnahmen "großer" Dirigenten gefunden: darunter Abbado (die ich übrigens für recht gut halte - schöne Phrasierungen, gute Tempi, großer Spannungsbogen), Szell (diesmal nicht mein Fall) und Colin Davis (mit den Dresdnern besser als mit dem ECO) oder Otmar Suitner (ebenfalls mit den Dresdnern).

Interessant, fliessend und ohne "Dudelei" fand ich noch die Aufnahmen von Martin Sieghart (ein Mozart-Kenner und ehemaliger Solo-Cellist der Wiener Sinfoniker), der ja auch schon Mahlers 5. und 6. mit spannenden Interpretationen herausgebracht hat).

Zur Abrundung noch eine sehr schnelle Aufnahme: Vladimir Spivakov mit den Moscow Virtuosi. Beispielweise der 1. Satz "Allegro spiritoso" - meines Wissens bedeutet spiritoso "feurig, begeistert, geistreich". Hier bedeutet es womöglich auch "alkoholisiert, sprit-voll"; jedenfalls geht hier ordentlich die Post ab.

Viele Grüße
Jörg
Bild
Melomane
Aktiver Hörer
Beiträge: 3114
Registriert: 14.10.2011, 18:30

Beitrag von Melomane »

Hallo Jörg,

danke für die Hinweise auf Qobuz. Denen werde ich auch folgen. Und danke für die Erinnerung an den Spivakov - den habe ich auch noch im Bestand, aber aus den Augen verloren.

Viele Grüße

Jochen
Bild
Melomane
Aktiver Hörer
Beiträge: 3114
Registriert: 14.10.2011, 18:30

Beitrag von Melomane »

Nachtrag zum Spivakov: Deiner Einschätzung, Jörg, stimme ich zu. Und möchte ergänzen: Luftig-leicht, fast tänzerisch wirken auf mich kleine Besetzung, Spielweise und Aufnahmetechnik. Eine Aufnahme, die man sich anhören sollte. Vielleicht aber nicht als erste. Um sie nicht womöglich als oberflächlich einzuordnen. Das hat sie nämlich nicht verdient, wie der Vergleich mit anderen Einspielungen zeigt.
Bild
Melomane
Aktiver Hörer
Beiträge: 3114
Registriert: 14.10.2011, 18:30

Beitrag von Melomane »

Hallo,

ich habe mir gerade die Einspielung mit Peter Maag noch einmal angehört. Schade, dass die vom Klang her limitiert ist. Aber vielleicht ermöglicht gerade diese Tatsache meine Faszination. Die ist nämlich ungebrochen, und auch heure morgen sprang der Funke über. Jubilierende Violinen, kräftige Impulse anderer Instrumente - pure Lebensfreude sozusagen. Und es ist erstaunlich, wie "modern" Maag Mozart interpretiert: Mit seinen Tempi, Akzentuierungen - und immer besteht der Eindruck, dass eine Spannung über alle vier Sätze aufrechterhalten wird. Aber natürlich muss das nicht jeder so hören. ;)

Ich habe die Aufnahme - leider im Moment nicht im Zugriff - als CD-Ausgabe. Wenn ich die wieder in Händen habe, werde ich schauen, ob das Mastering etwas mehr an Klangfülle beinhaltet als die Qobuz-Variante.

Im Moment läuft auch der Ristenpart als Stream von Qobuz:

https://www.qobuz.com/de-de/album/w-a-m ... 8608556163

Der spricht mich weniger an. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass da der Mozart heruntergespielt wird. Nicht wirklich lieblos, auch recht flott, aber möglicherweise für den Moment der Radioübertragung - und damit is gut.

In Summa stelle ich erstaunt (?) fest, wie unterschiedlich man den Mozart auffassen kann. Und ich finde es schön, dass Tonträger es ermöglichen, all dem nachzuspüren.

Edit: Der Ristenpart ist auch in der Tat vom Klang beeinträchtigt. Zwar schon stereo, aber insgesamt eher unschön anzuhören.

Viele Grüße

Jochen
Bild
alcedo
Aktiver Hörer
Beiträge: 1930
Registriert: 09.12.2019, 20:21
Wohnort: NRW

Beitrag von alcedo »

Hallo Jochen,

die Ristenpart-Aufnahme ist in der Tat eher was für die Hartgesottenen. Oder Einheimische ... Da ich nun mal "quasi-Saarbrigga" bin, liegt bei mir eine gewisse Heimatverbundenheit nahe :lol: Mir gefällt die Aufnahme, obwohl sie qualitativ nicht nur rauscht, sondern auch noch "wie unter der Dusche aufgenommen" klingt. Dennoch fesselt mich diese Interpretation durchaus und ich kann sie mir in einem durch anhören.
Zu meinen Favoriten würde ich sie aber auch nicht zählen :cheers:

Viele Grüße
Jörg
Bild
Antworten