Mozart - Die Hochzeit des Figaro (eure Erfahrung ist gefragt)

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
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alcedo
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Mozart - Die Hochzeit des Figaro (eure Erfahrung ist gefragt)

Beitrag von alcedo »

Guten Abend, zusammen

Komischer Titel, oder? Aber ich möchte mal ein "Experiment" vagen.
Ich schreibe hier ja mal ganz gerne über die ein oder andere empfehlenswerte Aufnahme. Eine meiner Leidenschaften gehört der Oper - und dafür braucht es meist mehr Zeit zum (Ein-)Hören. Nun habe ich mir seit Anfang Dezember vorgenommen, verschiedene Aufnahmen von Mozarts Figaro anzuhören und zu vergleichen. Folgende 14 Aufnahmen habe ich bislang im Visier:

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Es sind also folgende Gesamteinspielungen:

Karajan (1950) - ohne Rezitative
Erich Kleiber (1959)
Giulini (1959)
Böhm (1968)
Klemperer (1970)
Solti (1981)
Gardiner (1994)
Mackerras (1994)
Abbado (1995)
Jacobs (2003)
Harnoncourt (2007)
Currentzis (2012)
Levine (2014)
Nézét-Seguin (2016)

Einige davon besitze ich, die anderen höre ich (noch) über Qobuz.

Bislang habe ich alle schon mal durchgehört und nun vergleiche ich einzelne Arien, Duette, usw. mehr im Detail.
Das hört sich alles furchtbar wissenschaftlich an - ist aber eher das Gegenteil. Ich gehe da mehr emotional als akribisch-korrekt nach Noten ran. Mich interressiert viel mehr, ob der Charakter des Stücks getroffen (für mich) wird, welche Idee der Dirigent wohl hatte, wie die Stimmen dieses Konzept abbilden und schlußendlich: was die jeweilige Aufnahme bei mir auslöst (alles bitte rein subjektiv zu verstehen!)
Es geht mir also nicht darum, welche davon sind Referenzaufnahmen. Das überlasse ich gerne kompetenteren ;-)

So - und nun meine Frage an euch: vielleicht (vermutlich sogar ganz sicher) habe ich noch interessante Aufnahmen übersehen.
=> Welche würdet ihr mir empfehlen - und warum?
Ergänzend würde mich generell eure Hörerfahrungen mit dieser Opera buffo interessieren - auch kritisch-negative.

Beste Grüße
Jörg
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Amati
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Beitrag von Amati »

Hallo Jörg,


soweit ich das sehen kann, hast du diese hier (noch) nicht auf dem Schirm

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Mirella Freni (Sopran), Jessye Norman (Sopran), Lillian Watson (Sopran), Maria Casula (Sopran), Ingvar Wixell (Bariton), Clifford Grant (Bass), BBC Symphony Orchestra & Chorus, Colin Davis

Läuft bei mir gerade und ist auch mit fast 50 von wunderbarer Räumlichkeit. Und die Besetzung spricht für sich.

Und diese hier, war eine meiner ersten CDs überhaupt.

Marriner mit St Martins in the Fields. Ebenfalls grandiose Besetzung. Ein Klassiker.

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Beste Grüße

Peter

PS: Hab gerade nochmal "gegengehört" mehr "Seele" hat die Davis mit der Freni...
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Hallo Peter,

du hast recht, dass ich diese nicht auf dem Schirm hatte :cheers:
Gleichwohl kenne ich sie sehr gut - war eine meiner ersten LPs. Und die stehen zur Zeit an unserem Zweitwohnsitz, wo wir wegen Corona im Moment nicht hinkönnen :oops:
Von daher Danke für den Hinweis - ich hätte sie sonst wohl vergessen. Freni und Norman singen hier perfekt zusammen.

Witzigerweise habe ich seinerzeit doch tatsächlich diese hervorragenden Alben in Prachtausstattung mit Colin Davis und dem BBC SO gesammelt - vor allem die Ausgabe mit seinen genialen Berlioz-Aufnahmen, die ich heute noch besitze. Aber wer (ausser mir 8) ) hört sich heute noch "Les Troyens", "Benvenuto Cellini" oder "La damnation de Faust" an ...

Danke und beste Grüße
Jörg
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hallo Jörg,

in welche Richtung soll/darf es denn gehen? Konventionell, historisch informiert oder irgendwas dazwischen? Oder???

Unabhängig davon - ich habe gerne die mit Fricsay oder E. Kleiber gehört. Genauere Begründung muss unterbleiben, weil ich die lange nicht mehr auf dem Teller gehabt habe.

Viele Grüße

Jochen
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Hallo Jochen,

Richtung ist egal. Hauptsache, die Interpretation wird als insgesamt stimmig und schlüssig empfunden. Nach Aussage einiger Kritiker soll es ja über 170 Aufnahmen vom Figaro geben.

Und die Aufnahme von E. Kleiber wird wohl auch weiterhin zu meinen Lieblingsaufnahmen gehören. :cheers:

BG
Jörg
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Hallo, liebe Klassikfreunde

Da keine Empfehlungen oder Ergänzungen mehr kamen, habe ich mir schlußendlich folgende 18 Gesamteinspielungen angehört

Karajan (1950)
Böhm (1954)
Erich Kleiber (1959)
Giulini (1959)
Fricsay (1961)
Böhm (1968)
Klemperer (1970)
Colin Davis (1971 und 1991)
Solti (1981)
Marriner (1986)
Gardiner (1994)
Mackerras (1994)
Abbado (1995)
Jacobs (2003)
Harnoncourt (2007)
Currentzis (2012)
Levine (2014)
Nézét-Seguin (2016)

Und das Ergebnis?

Ist natürlich rein subjektiv und bitte nicht als Referenz- oder was auch immer - Empfehlung zu werten. Für mich war Leitgedanke, in wie weit die Aufnahmen den Lustspielcharakter der opera buffa vermitteln – also Theateratmosphäre mit einer gewissen Leichtigkeit, Ensemblecharakter (und nicht nur herrliche Solisten) und Herangehensweise der dramaturgisch so wichtigen Rezitative.

Noch eins vorweg: MEINE Lieblingsaufnahme ist die mit Klemperer! Das liegt einfach daran, dass ich mit dieser Aufnahme groß geworden bin und diese klangschönen Stimmen fest in meinen Gehörgängen verankert sind. Ob man so heute noch den Figaro spielen würde – wohl eher nicht.

Ich habe für mich nun 3-4 wunderbare Aufnahmen „dazu gewonnen“:

1. Currentzis___Frisch, entstaubt; sehr präsent, ortungsscharf, vibratolos, große Dynamik; Theateratmosphäre
2. E. Kleiber___Tolles Gesamtensemble! hervorragend restauriert mit tollem Klangbild (1955!)
3. Solti________Schlüssig, homogen, gutes Ensemble; stellenweise Orchester etwas leise
4. Jacobs______Ähnlicher Ansatz wie bei Currentzis; packend inszeniert

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Von Currentzis habe ich schon einiges gehört, von seinen Mozart-Opernaufnahmen bislang aber nur gelesen. Der nachfolgenden Rezension kann ich mich weitestgehend anschließen und erspare mir daher eigene Beschreibungen:

„… Es gibt an die zweihundert verschiedene Aufnahmen des Figaro von Mozart, davon mehrere historische Mitschnitte aus den Dreißiger- und Vierzigerjahren; es vermag also einer nennenswerten Dosis Mut, oder gar Sturheit, um eine neue Aufnahme auf den Markt zu setzen, insbesondere wenn die Sänger, der Dirigent und die Stadt selbst, in der das Orchester tätig ist, völlig unbekannt sind. Was ist also das Besondere an dieser Version, die Sony dazu drängte mit dem Orchester und seinem Dirigenten eine langfristige Exklusivität zu unterzeichnen? Der Dirigent: Teodor Currentzis; das Orchester: MusicAeterna, von Currentzis selbst zusammengestellt; die Stadt: Perm, 1500 Kilometer östlich von Moskau, am Fuße des Urals. In dieser etwas irrealen Industrie- und Universitätsstadt, unter den Sovjets unter dem Namen Molotov bekannt, hat der lokale Gouverneur die weitreichende Kraft der Kultur als internationales Marketingwerkzeug erkannt und die kulturell wirkenden Unternehmen mit beträchtlichen Mitteln versorgt. Die Auswirkung seiner Politik lässt sich nun sehen und hören: hier ist die erste Aufnahme des Ensembles MusicAeterna im Rahmen der vollständigen Da Ponte-Trilogie, unter der bemerkenswerten Obhut Sonys, und es scheint, als würde sie die Mozartwelt bald stürmen. Womit kann also diese Einspielung die anderen, seit zig Jahren gespielten und bewunderten Aufnahmen, entthronen?
Mehrere Aspekte spielen hier zusammen. Erstens hat Currentzis die Originalmanuskripte unter die Lupe genommen und mehrere eingeschlichene Angewohnheiten des 19. Und 20. Jahrhunderts ausgemerzt, besonders wenn sie Mozarts Musik nutzlos andickten. Seit den Fünfzigerjahren hatten Barockmusiker bereits Unternehmungen dieser Art begonnen, Currentzis setzt diese Arbeit viel weiter fort. Die Recitativos sind hier am historischen Hammerklavier gespielt, so wie es Mozart selbst so oft zu tun pflegte; dazu wird das Hammerklavier auch in den Orchestersätzen eingesetzt, als Art diskretes Continuo. Den Sängern wird es erlaubt, einige Verzierungen zu extemporieren, genauso, wie es zu Mozarts Zeiten üblich war. Die dynamische Palette hat Currentzis stark erweitert, indem er mit hauchdünnen Pianissimi und explodierenden Fortissimi Kontraste schafft. Den Sängern wird das breite romantische Opernvibrato untersagt und die Stimmführungen werden „glatter“ gestaltet, ganz im Gegensatz zu dem seit einem halben Jahrhundert immer mehr anschwellenden „philharmonischen“ Konzept des Operngesangs, dessen Legitimität sich lediglich in den übergroßen Opernsälen findet – in denen aber Figaro kaum seinen Platz hat. Kurz gesagt: Currentzis hat sich die Lehren der modernen Musikologie angeeignet und gleichzeitig jegliches musikologisches Dogma abgelehnt.
Das Ergebnis ist phänomenal. Die ganze Aufnahme strahlt vor Kraft, Jugend, Frechheit und Lebensfreude, begleitet von einer überströmenden Kontrastergiebigkeit, bei der die Tontechnik ganz besonders zugehorcht hat. Currentzis fügt noch einige ungeschriebene Kuriositäten hinzu; außer der schon erwähnte ständigen Präsenz des Hammerklaviers – nicht nur bei den Rezitativen – und der Verzierungen der Sänger, hat der Dirigent auch hier und da eine Laute eingesetzt, um den Pizzicati der Streicher mehr Schwung zu verleihen, sowie eine Leier um – sehr diskret – die Dorfszene zu färben. Das Orchester ist ungemein präzise, was nicht zuletzt auch darauf zurückgeführt werden kann, dass das Ensemble MusicAeterna fast als „Seminar“, oder gar Musikergemeinde, arbeitet, ohne seine Arbeitszeit zu zählen, so wie es, leider, anderswo oft der Fall ist, sogar bei den weltweit angesehensten Orchestern…“


Beste Grüße
Jörg
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Horse Tea
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Beitrag von Horse Tea »

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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Danke für den Hinweis 👍👍👍
Grüße
Jörg
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Horse Tea
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Beitrag von Horse Tea »

Bitteschön! Gern geschehen.
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Horse Tea
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Beitrag von Horse Tea »

Hallo Jörg und alle Freunde der Mozartopern,

hier eine aktuell verfügbare Aufführung live aufgenommen 2021 in Aix en Provence mit Thomas Hengelbrock und dem Balthasar-Neumann Ensemble:

https://www.arte.tv/de/videos/103061-00 ... e-aus-aix/

Mein alter ego hat den Daumen gehoben 👍.

Viele Grüße
Horst-Dieter
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