Verfasst: 19.09.2020, 19:57
Liebe Forenten,
für einen ersten Eindruck ist youtube doch sehr praktisch und so dachte ich mir, ich höre mal rein. Ich hatte Herrn Lang in der NDR-Talkshow gesehen, das war jetzt im Sommer, jedenfalls nicht lange her, wo er mit Barbara Schöneberger Abba zum Besten gab. Er ist ein aufgekrazter, wacher Mensch, den man wohl am ehesten mit Spaßvogel bezeichnen würde. Im Gespräch, wie am Klavier, jedenfalls in einer Talkshow und bei Abba.
Um nicht in die Gould-Falle, so möchte ich das mal nennen, zu tappen, bin ich gleich auf youtube geblieben und habe mich treiben lassen, welche Alternative es wohl wird. Bei Herrn Levit bin ich hängengeblieben. Er ist mir im Zusammenhang mit der Preisrückgabe des Echos aufgefallen, wo er der erste war. Den Klassikmarkt als solchen beobachte ich nicht mehr so wie früher, sodass ich da nicht mehr so auf dem laufenden bin. Sonst wäre mir Herr Levit sicher schon früher über den Weg gelaufen.
Auch, wenn Herr Levit in letzter Zeit wegen seiner Beethoven-Einspielung in aller Munde ist, dachte ich mir, dass das einen Versuch wert sein könnte. Ich bin da als einer, der als Schüler zehn Jahre selbst Klavier gespielt hat nicht gänzlich unbeleckt, aber über Hausmusik bin ich nie hinausgekommen, was ok für mich ist. Bachs Wohltemperiertes Klavier, das erste Stück, das mit der C-Dur-Dreiklang-Zerlegung beginnt, könnte ich auch heute noch auswendig spielen, nach 40 Jahren, wobei ich mich im Laufe des Spiels immer verfahre, also im Eifer des Gefechts dann plötzlich Sachen spiele, die Bach nie geschrieben hat und dann weiß ich nicht weiter. Wenn ich Glück habe, verfahre ich mich nicht und komme bis zum Ende durch. Mit Noten ist es natürlich einfacher. Aber für eine Aufnahme reichte es so oder so nicht.
Das musikalische Gedächtnis ist kurz, und so habe ich mir nur 30 - 45 Sekunden der Aria angehört und dann gewechselt. Der Unterschied war, auch abseits der agogischen Verwirrung (5:45 gegenüber 4:50, so um und bei) von Herrn Lang, unmittelbar hörbar. Ich habe dann nur noch einmal zu Herrn Lang zurückgewechselt und dann bei youtube Günter Noris Swing on Bach gesucht und bin dann bei Günter Noris und Vivaldi gelandet. Das habe ich mir dann sehr gerne angehört. Ich musste noch arbeiten. Das passte alles gut.
Zusammenfassung: wenn ich versuchen würde, das Stück zu spielen, hätte ich so etwas wie von Herrn Levit im Ohr: da würde ich hinwollen, wissend, nicht hinzukommen. Alles ok soweit. Ach ja, die Gould-Falle nenne ich die Überhöhung, die Herr Gould mit der Zeit erfahren hat, die einer sachlichen Diskussion eher im Weg steht. Auch Herr Gould war nur ein Mensch, der in späteren Jahren selbst zu gedehnten Tempi neigte. Legendär ist Brahms's Klavierkonzert mit Herrn Bernstein mit der Ansprache von jenem: "Don't be freighned, Mr. Gould is here", wo Herr Bernstein von "extraordinary broad tempi" von Herrn Gould sprach, die die Zusammenarbeit beinahe hat platzen lassen. Und wenn man heute Herrn Goulds Bach-Einspielungen als Referenz nimmt, gemeint sind wohl seine ersten auf dem Küchenstuhl (auch so etwas messianisches), dann kann das die Diskussion schon belasten, weil man da ja nicht zu widersprechen wagt.
Herr Levit also, und, wie gesagt, so würde ich es auch gerne spielen können. Herr Lang lässt mich ratlos zurück. Das ist mir alles viel zu barock, wenngleich diese Formulierung hier erstmal nur verwirrt statt klärt, aber ich meine das umgangssprachlich, was sich auf die Architektur bezieht: reich verziert, auch vorgespiegelt (Marmorwände, die sich als bemalte Holzvertäfelungen entpuppen, wenn man dagegen klopft; meine Standardfrage in Kirchen immer, bevor ich klopfe: "Tong" (hohl, barock eben) oder "Tok" (massiv, eben echt)), eben ganz anders als in der vorausgegangenen Gotik zum Beispiel. Da war Holz noch Holz und Stein noch Stein. Irgendwie hanseatisch...
Herr Langs Spiel klingt für mich gar nicht wie Klavierspiel, überspitzt formuliert. Also nicht wie Bach oder Bartok jedenfalls, die ich häufig spielen musste oder durfte. Ich habe auch Chopin gespielt, was das andere Extrem ist, aber mein Blick auf Bach hat das nicht verändert.
Zum Tempo wollte ich noch was sagen. Herr Beaujeans dürfte es gewesen sein, der in der stereoplay, die nach Übernahme der HiFi-Stereophonie seine neue Heimat wurde, die Celibiache-Edition der Bruckner-Sinfonien rezensiert hat. Der späte, also der Münchner Celibidache war ja für jede Tempo-Diskussion gut, wobei der relative Unterschied zu Standard-Einspielungen, etwa der von Herrn Wand mit dem NDR, noch größer ist als der zwischen Herrn Lang und Herrn Levit (1. Satz 8. Sinfonie 35 zu 26 Minuten, um und bei). Ich erinnere Herrn Beaujeans Einlassung zum Tempo: "die Coda der 8. Sinfonie ist ein Erlebnis." Das kann ich sofort unterschreiben.
Was dort wunderbar funktioniert, zumindest für meinen Geschmack, geht hier nicht. Wahrscheinlich hat Gert (Fortepianus) recht, der vor Jahren einmal schrieb, als es um Bach und Romantik (da weiß ich den Komponisten nicht mehr) ging, sinngemäß: "da sieht man, was Substanz ist und was Pose." Ich denke, da ist was dran, denke sogar, dass das der Schlüssel, jedenfalls für mich, zum Verständnis des Problem sein könnte: romantische Musik hält das gut aus, wenn man sie mit bourgeoiser, großer Pose darbietet. Bach verträgt das weniger gut, so scheint mir.
Ich werde mir Herrn Langs Interpretation nicht kaufen, wohl auch nicht in einem Jahr oder so, wenn man es bei amazon gebraucht für 'nen Appel und 'nen Ei bekommen kann.
Danke für Euer Interesse
Peter
für einen ersten Eindruck ist youtube doch sehr praktisch und so dachte ich mir, ich höre mal rein. Ich hatte Herrn Lang in der NDR-Talkshow gesehen, das war jetzt im Sommer, jedenfalls nicht lange her, wo er mit Barbara Schöneberger Abba zum Besten gab. Er ist ein aufgekrazter, wacher Mensch, den man wohl am ehesten mit Spaßvogel bezeichnen würde. Im Gespräch, wie am Klavier, jedenfalls in einer Talkshow und bei Abba.
Um nicht in die Gould-Falle, so möchte ich das mal nennen, zu tappen, bin ich gleich auf youtube geblieben und habe mich treiben lassen, welche Alternative es wohl wird. Bei Herrn Levit bin ich hängengeblieben. Er ist mir im Zusammenhang mit der Preisrückgabe des Echos aufgefallen, wo er der erste war. Den Klassikmarkt als solchen beobachte ich nicht mehr so wie früher, sodass ich da nicht mehr so auf dem laufenden bin. Sonst wäre mir Herr Levit sicher schon früher über den Weg gelaufen.
Auch, wenn Herr Levit in letzter Zeit wegen seiner Beethoven-Einspielung in aller Munde ist, dachte ich mir, dass das einen Versuch wert sein könnte. Ich bin da als einer, der als Schüler zehn Jahre selbst Klavier gespielt hat nicht gänzlich unbeleckt, aber über Hausmusik bin ich nie hinausgekommen, was ok für mich ist. Bachs Wohltemperiertes Klavier, das erste Stück, das mit der C-Dur-Dreiklang-Zerlegung beginnt, könnte ich auch heute noch auswendig spielen, nach 40 Jahren, wobei ich mich im Laufe des Spiels immer verfahre, also im Eifer des Gefechts dann plötzlich Sachen spiele, die Bach nie geschrieben hat und dann weiß ich nicht weiter. Wenn ich Glück habe, verfahre ich mich nicht und komme bis zum Ende durch. Mit Noten ist es natürlich einfacher. Aber für eine Aufnahme reichte es so oder so nicht.
Das musikalische Gedächtnis ist kurz, und so habe ich mir nur 30 - 45 Sekunden der Aria angehört und dann gewechselt. Der Unterschied war, auch abseits der agogischen Verwirrung (5:45 gegenüber 4:50, so um und bei) von Herrn Lang, unmittelbar hörbar. Ich habe dann nur noch einmal zu Herrn Lang zurückgewechselt und dann bei youtube Günter Noris Swing on Bach gesucht und bin dann bei Günter Noris und Vivaldi gelandet. Das habe ich mir dann sehr gerne angehört. Ich musste noch arbeiten. Das passte alles gut.
Zusammenfassung: wenn ich versuchen würde, das Stück zu spielen, hätte ich so etwas wie von Herrn Levit im Ohr: da würde ich hinwollen, wissend, nicht hinzukommen. Alles ok soweit. Ach ja, die Gould-Falle nenne ich die Überhöhung, die Herr Gould mit der Zeit erfahren hat, die einer sachlichen Diskussion eher im Weg steht. Auch Herr Gould war nur ein Mensch, der in späteren Jahren selbst zu gedehnten Tempi neigte. Legendär ist Brahms's Klavierkonzert mit Herrn Bernstein mit der Ansprache von jenem: "Don't be freighned, Mr. Gould is here", wo Herr Bernstein von "extraordinary broad tempi" von Herrn Gould sprach, die die Zusammenarbeit beinahe hat platzen lassen. Und wenn man heute Herrn Goulds Bach-Einspielungen als Referenz nimmt, gemeint sind wohl seine ersten auf dem Küchenstuhl (auch so etwas messianisches), dann kann das die Diskussion schon belasten, weil man da ja nicht zu widersprechen wagt.
Herr Levit also, und, wie gesagt, so würde ich es auch gerne spielen können. Herr Lang lässt mich ratlos zurück. Das ist mir alles viel zu barock, wenngleich diese Formulierung hier erstmal nur verwirrt statt klärt, aber ich meine das umgangssprachlich, was sich auf die Architektur bezieht: reich verziert, auch vorgespiegelt (Marmorwände, die sich als bemalte Holzvertäfelungen entpuppen, wenn man dagegen klopft; meine Standardfrage in Kirchen immer, bevor ich klopfe: "Tong" (hohl, barock eben) oder "Tok" (massiv, eben echt)), eben ganz anders als in der vorausgegangenen Gotik zum Beispiel. Da war Holz noch Holz und Stein noch Stein. Irgendwie hanseatisch...
Herr Langs Spiel klingt für mich gar nicht wie Klavierspiel, überspitzt formuliert. Also nicht wie Bach oder Bartok jedenfalls, die ich häufig spielen musste oder durfte. Ich habe auch Chopin gespielt, was das andere Extrem ist, aber mein Blick auf Bach hat das nicht verändert.
Zum Tempo wollte ich noch was sagen. Herr Beaujeans dürfte es gewesen sein, der in der stereoplay, die nach Übernahme der HiFi-Stereophonie seine neue Heimat wurde, die Celibiache-Edition der Bruckner-Sinfonien rezensiert hat. Der späte, also der Münchner Celibidache war ja für jede Tempo-Diskussion gut, wobei der relative Unterschied zu Standard-Einspielungen, etwa der von Herrn Wand mit dem NDR, noch größer ist als der zwischen Herrn Lang und Herrn Levit (1. Satz 8. Sinfonie 35 zu 26 Minuten, um und bei). Ich erinnere Herrn Beaujeans Einlassung zum Tempo: "die Coda der 8. Sinfonie ist ein Erlebnis." Das kann ich sofort unterschreiben.
Was dort wunderbar funktioniert, zumindest für meinen Geschmack, geht hier nicht. Wahrscheinlich hat Gert (Fortepianus) recht, der vor Jahren einmal schrieb, als es um Bach und Romantik (da weiß ich den Komponisten nicht mehr) ging, sinngemäß: "da sieht man, was Substanz ist und was Pose." Ich denke, da ist was dran, denke sogar, dass das der Schlüssel, jedenfalls für mich, zum Verständnis des Problem sein könnte: romantische Musik hält das gut aus, wenn man sie mit bourgeoiser, großer Pose darbietet. Bach verträgt das weniger gut, so scheint mir.
Ich werde mir Herrn Langs Interpretation nicht kaufen, wohl auch nicht in einem Jahr oder so, wenn man es bei amazon gebraucht für 'nen Appel und 'nen Ei bekommen kann.
Danke für Euer Interesse
Peter