Haydns letzte Streichquartette - ein Schock für die Ohren

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
Antworten
alcedo
Aktiver Hörer
Beiträge: 1927
Registriert: 09.12.2019, 20:21
Wohnort: NRW

Haydns letzte Streichquartette - ein Schock für die Ohren

Beitrag von alcedo »

Hallo zusammen,

ein Schock für die Ohren? Ja - und zwar von der allerbesten Art! So schrieb der "Observer" mal über den außergewöhnlichen Klang dieses internationalen Quartetts (ein Spanier spielt mit einer Schwedin, einer Französin und einer Russin), die hochklassische Kammermusik auf Darmsaiten spielen. Das hört sich wirklich ungewöhnlich - und unglaublich gut an!

Auch technisch ist diese Aufnahme hervorragend. Kurzum: großer Hosenbodenfaktor :cheers:

Bild

https://www.qobuz.com/de-de/album/haydn ... fnx03dz7db

PS: Info an Jochen (Melomane): diesmal ist es wieder eine "echte" HiRes-Aufnahme. Sie wurde auch in 24-96 aufgenommen :lol:

Beste Grüße und ein schönes Wochenende,
Jörg
Bild
Horse Tea
Aktiver Hörer
Beiträge: 1723
Registriert: 19.03.2016, 20:22
Wohnort: Unterfranken

Beitrag von Horse Tea »

Hallo Jörg,

ich höre das Album gerade via Quboz in FLAC 96 kHz / 24 bit und kann Dein Urteil vollkommen nachvollziehen. Danke für den Tip

Viele Grüße
Horst-Dieter
Bild
Horse Tea
Aktiver Hörer
Beiträge: 1723
Registriert: 19.03.2016, 20:22
Wohnort: Unterfranken

Beitrag von Horse Tea »

Hallo Jörg,

wir sind jetzt mit dem hören aller drei Quartette durch. Daher noch ein paar Diskussionspunkte bezüglich der Interpretation. Bei den ersten beiden gehen die Interpreten oft sehr robust voran. Die Interpretation ist sehr modern (ist das der Schock für die Ohren?) und die Quartette werden in Richtung auf die späten Beethoven Quartette gerückt. Als Ü60 haben wir uns gefragt: Wie hätte das Alban Berg Q. das gespielt? Aus der Erinnerung stellenweise ganz sicher mit einem sehr viel zarteren Bogenstrich, zumindest in der 1. Violine. Das wiederum hörten wir im Kaiserquartett, in dem sehr viel nachdenklicher, feiner (konservativer?, nicht immer!), als in den ersten beiden Quartette musiziert wird. Insgesamt sicher eine gelungene, interessante Interpretation.

Was waren Deine Eindrücke?

Viele Grüße
Horst-Dieter
Bild
alcedo
Aktiver Hörer
Beiträge: 1927
Registriert: 09.12.2019, 20:21
Wohnort: NRW

Beitrag von alcedo »

Hallo Horst-Dieter

upps - das ist ja mal eine Aufgabe
Vermutlich setze ich mich jetzt richtig in die Nesseln mit meiner Antwort :lol:

Vom Alban Berg Quartett habe ich nur das Kaiserquartett (also Nr.62) in der bekannten japanischen SACD-Version. Da ist mir beispielsweise im 2. Satz (Poco adagio cantabile) - der Nationalhymne - alles mit viel zu viel Vibrato gespielt. Dick und melodramatisch. Ich habe immer die alten Aufnahmen des Amadeus-Quartetts aus den 60´ern vorgezogen - ohne Pathos, präzise, voller Ton, sehr plastisch. Leider hat die Aufnahme eine sehr gepresste Räumlichkeit.

Das Chiaroscuro Quartett spielt für mich in etwa genau dazwischen - die feinen Schönheiten wunderbar auskostend, die Töne schwingen herrlich aus, und alles erscheint so plastisch als würden sie im Raum sitzen. In einer Besprechung sagte der Kommentator, er könne förmlich das frisch geschnitzte Holz der Streichinstrumente spüren (nun gut, wenn es wirklich frisch wäre, könnte keiner drauf spielen :lol: )
Der Klang wirkt auf mich authentisch, wie aus der Zeit gerissen - obwohl es in der Tat keine "Originalklang"-Interpretation ist.

Den Bezug zu den späten Beethoven-Quartetten kann ich so nicht nachempfinden (hier sind übrigens die Aufnahmen mit dem Belcea-Quartett mit derzeitigen Favoriten). Für mich klingt das - als auch Ü60´er - frisch, neu, spannend.

Beste Grüße
Jörg
Bild
Horse Tea
Aktiver Hörer
Beiträge: 1723
Registriert: 19.03.2016, 20:22
Wohnort: Unterfranken

Beitrag von Horse Tea »

Hallo Jörg,

Nesseln habe ich keine, außer im Garten :D .

Eine Diskussion wird doch erst farbig, wenn unterschiedliche Meinungen geäußert werden und man an der anderen interessiert ist. Immerhin gab es bis jetzt schon 100 Zugriffe, sonst hätte ich den Austausch via PN weitergeführt. Außerdem handeln wir kein politisches, sondern ein ästhetisches Thema ab.

Wichtig bei einer Diskussion sind, um Missverständnisse zu klären, die Ausgangsvoraussetzungen.

1. Was meinst Du mit Nr. 62? Das Kaiserquartett ist für mich op. 76 Nr. 3, das letzte, der drei in dem Album.

2. Mein Kommentar bezüglich Alban Berg Q. bezog sich auf Nr. 1 und Nr. 2. Die Interpretation vom ABQ des Kaiserquartetts, also der Nr.3 kenne ich nicht. Die mir vorliegende Interpretation, die mir gut gefallen hat, suche ich morgen unter den CDs raus, jetzt ist mir der Aufwand zu groß. Die Aufnahme des Amadeus Q kenne ich leider auch nicht. Das AQ habe ich auch nie live gehört, anders als das ABQ.

Fast vollkommene Übereinstimmung haben wir bezüglich Pathos und Vibrato, ersteres ist nicht zeitgemäß, letzteres sollte nur sehr vorsichtig eingesetzt werden. Aber haben Interpretationen der < 70er Jahre nicht, als Konsequenz des Zeitgeistes, genauso ihre Berechtigung, wie die Interpretation des CQ, heute (als Konsequenz Zeitgeistes)? Ich mag die alten Interpretationen, mal ganz pauschal, auch nicht mehr (uneingeschränkt), finde darüber aber einen enormen Zugang zu der jeweiligen Zeit, auch wenn die Komposition noch einer oft sehr viel früheren Epoche entstammt. Die Kombination, bzw. beide herauszuschälen, finde ich doppelt interessant.

Deine Elndrücke der Interpretatlon des CQ kann ich bezüglich op. 76 Nr. 3 gut nachvollziehen, nicht aber bezüglich Nr. 1 und 2. Hier bleibe ich bei meinem Bezug zu den späten Beethoven Quartetten. Damit möchte ich meinen ersten guten Eindruck der Qualität nicht negieren, die Idee, das so zu spielen, ist ganz sicher "frisch, neu, spannend". (Vielleicht bekommt man heute auch sonst keinen Vertrag mehr :mrgreen: ). Das CQ ist auch für mich ein wichtiges Streichquartettensemble, so ganz vom Hocker hat uns die Interpretation aber auch nicht gehauen.

Viele Grüße
Horst-Dieter
Bild
alcedo
Aktiver Hörer
Beiträge: 1927
Registriert: 09.12.2019, 20:21
Wohnort: NRW

Beitrag von alcedo »

Guten Morgen, Horst-Dieter

die Streichquartette von Haydn kann man nach Opus-Zahl (hier op.76,1-3) angeben oder durchnummeriert (hier dann Nr.60-62). Nr.62 ist also op.76,3. Ich hatte mir mal angewöhnt, allgemein nur noch die Durchnummerierungen zu verwenden, da ich u.a. bei Mozart Sonaten immer durcheinander kam :lol:

Die ABQ-Aufnahmen von op.76,1-2 kenne ich nicht (oder sind mir nicht mehr in Erinnerung). Ich wäre dir hier für eine Empfehlung sehr dankbar.
Meine Worte über die ABQ-Interpretation von op.76,3 waren nicht abwertend gemeint, sondern nur als Vergleichskriterium gedacht. Das ABQ spielte mit einer jahrzehntelangen Erfahrung, perfekt aufeinander eingehend, mit einem schönen warmen Ton. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich durch ABQ die Streichquartette von Beethoven auch erst richtig kennengelernt 8) Eine der schönsten Aufnahmen von Schuberts 14. Streichquartett ist für mich die 97´er Aufnahme des ABQ.

Was die Berechtigungen "alter" Aufnahmen betrifft, so sehen wir das beide absolut identisch. Die meisten meiner "Lieblingsaufnahmen" sind ältere, mit einer oft völlig anderen Intention und einer anderen Herangehensweise. Nach einer gewissen Zeit werden diese Interpretationen von anderen Künstlern in Frage gestellt - und diese kommen dann oft zu einem anderen (genauso berechtigten) Ergebnis. Das finde ich je gerade das spannende an der sog. klassischen Musik. Kaum gibt es eine (oder mehrere) unumstößliche "Referenz-Einspielung", wird diese auch schon wieder in Frage gestellt (erinnert mich irgendwie an unser Hifi-Hobby) :lol: So ist es mir beispielweise bei den Beethoven-Symphonien mit Paavo Järvi oder mit Currentzis bei Mozarts Da Ponte-Opern gegangen.
Und du wirst schon recht haben, dass in der kurzlebigen Zeit von heute "klappern" zum Handwerk gehört, wenn man einen Vertag als Künstler erhalten möchte.

Bei mir ist es inzwischen so, dass ich nach einer gewissen Zeit dann sehr oft wieder zu "alten" Aufnahmen zurückkehre und diese wieder sehr gerne höre - und dann oft auch andere Details erkenne, die ich vorher nicht in diesen Aufnahmen gehört habe ...

Beste Grüße
Jörg
Bild
Horse Tea
Aktiver Hörer
Beiträge: 1723
Registriert: 19.03.2016, 20:22
Wohnort: Unterfranken

Beitrag von Horse Tea »

Hallo Jörg,

die von Dir angeführte Zählweise ist bisher ganz an mir vorbeigegangen. Danke für die Erklärung.

Die in meiner Sammlung vorhandene Interpretation von 76,1-3 ist die des ungarischen Eder Quartetts, in die ich gerade noch einmal hereingehört habe. Sie wurde 1984 aufgenommen und ich empfinde sie sowohl interpretatorisch als auch, überraschenderweise, klanglich heute noch frisch und konkurrenzfähig. Während in den Ecksätzen ein sehr ehrgeiziges Tempo herrscht, ist die Melodie des Deutschlandliedes im 2. Satz, dessen Cantabile auch in den anderen Sätzen mitschwingt, sehr langsam gespielt. Letzteres könnte man durchaus als pathetisch verstehen. Ich finde aber, dass das Tempo so langsam ist, dass es auf mich schon wieder unpathetisch wirkt. Und dass Ungarn Haydn können, liegt irgendwie nahe. Leider ist in Quobuz eine anderes Album mit dem EderQ eingestellt, als das, was ich zu Hause habe (meines ist von Teldec, ,https://www.google.com/search?q=Eder+Qu ... 4dQR4YM%3A), nämlich op 76, 2-4, aber ich denke, das Kaiserquartett wird die gleiche Aufnahme sein.

Ich finde es auch hochinteressant zwischen den Interpretationsansätzen verschiedener Epochen zu wechseln und auch die Instrumente bzw. deren Endstehungsjahre zu berücksichtigen. Das hatten wir ja schon in Deinem Faden über Flügel ausgetauscht. Die von Dir genannten Dirigenten bzw. Ihre Interpretationen finde ich ebenfalls sehr reizvoll.

Viele Grüße
Horst-Dieter
Bild
hkampen
Aktiver Hörer
Beiträge: 687
Registriert: 11.02.2018, 23:40
Wohnort: Köln

Beitrag von hkampen »

Hallo zusammen,

danke für den Tipp! Das Album klingt großartig. An der Diskussion um verschiedene Versionen kann ich nicht mithalten, ich werde dieses Album erstmal auskosten und sicher oft spielen.

Viele Grüße
Harald
Bild
alcedo
Aktiver Hörer
Beiträge: 1927
Registriert: 09.12.2019, 20:21
Wohnort: NRW

Beitrag von alcedo »

Hallo Horst-Dieter

ich habe mir heute vormittag über Qobuz die Aufnahme des ABQ mit dem Streichquartett Nr.60 (op.76,1) zum Vergleich mit dem GQ angehört.
Im ersten Satz hat das ABQ einen eleganten, feinen, melodisch-seidigen Klang, während GQ schärfer akzentuiert spielen. Die Innensätze werden dagegen spröder genommen, während das ABQ lyrisch-singend interpretiert.

Zusammenfassen würde es so beschreiben: ABQ spielen mehr als Ensemble mit einem einheitlichen Gesamtklang und sind perfekt ausbalanciert. Das GQ hat den helleren rauheren Klang (Darmsaiten?!) und erinnert mich an das Bonmot von Goethe (sinngemäß): "In einem Streichquartett unterhalten sich 4 intelligente Menschen miteinander".

PS: lese gerade deine Empfehlung - werde mir die Eder-Aufnahme auch mal anhören. Jetzt geht es erst mal zum Grillen :cheers:

Beste Grüße
Jörg
Bild
Melomane
Aktiver Hörer
Beiträge: 3114
Registriert: 14.10.2011, 18:30

Beitrag von Melomane »

Hallo Jörg,

herzlichen Dank für die Empfehlung! :cheers:

Ich habe gerade per Qobuz-Stream mit dem "kleinen Geschirr" (Raspberry -> ifi iDSD Nano -> Grado-KH) in die ersten beiden tracks reingehört. Gefallen mir auch sehr gut! Farbig, transparent, beschwingt im schnellen Satz, fast schon Schubert erahnen lassend im langsamen, zu keiner Zeit nervig - das sind die Merkmale, die mir spontan in den Sinn kamen. Passt gut für meine Ohren an einem entspannten Sonntagmorgen. Das von einem Hörer, keinem Fachmann, keinem Spezialisten für das Genre, auch ohne Vergleich im Gedächtnis.

Mal sehen, was das als Download kosten will. ;)

Viele Grüße

Jochen
Bild
alcedo
Aktiver Hörer
Beiträge: 1927
Registriert: 09.12.2019, 20:21
Wohnort: NRW

Beitrag von alcedo »

@Harald, Jochen: gern geschehen :)

@Horst-Dieter: ich stimme dir zu - das Eder Quartett spielt richtig gut und schlüssig. Wirklich erstaunlich für eine so "alte" Aufnahme.
Auch kannte ich dieses Ensemble noch gar nicht.
Danke für den Hinweis!

Beste Grüße
Jörg
Bild
Antworten