Mahlers 4. Symphonie mit den Bambergern und Jakub Hrusa (Accentus)

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
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Melomane
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Mahlers 4. Symphonie mit den Bambergern und Jakub Hrusa (Accentus)

Beitrag von Melomane »

Hallo,

Mahler - ein gewiss nicht einfacher Komponist. Man kann gerade seine 4 ja spielen von bis. Von gemächlich-gefällig bis zum aufgeheizten Psychodrama. Wie ist es nun mit dieser aktuellen Produktion?

https://www.qobuz.com/de-de/album/mahle ... prfka7d2bb

Geriet mir beim Stöbern in den klassischen Neuerscheinungen bei Qobuz in die Playlist. Der erste Eindruck: Schnell ist man nicht unterwegs. Muss man auch nicht. Aber spannungslos wirkt es auch nicht - die Interpretation leuchtet sozusagen das Musikgeschehen aus und baut so Spannung auf. Dann sind die Violinen insbesondere und einige Blasinstrumente auffällig - die "schreien" gewissermaßen. Ich nehme an, dass das Konzept ist und die Doppelbödigkeit des Mahlerschen Blicks auf seine Zeit ausdrücken soll. Das wäre dann gelungen durch die Kombination sozusagen von oberflächlich hübsch und untergründig hässlich. Aber ich muss das noch einmal überprüfen, ob es nicht nur die Aufnahmetechnik ist, die meiner Anlage und meinen Ohren etwas unterjubelt, was nicht da ist. Vielleicht ist das Beiheft hilf- und aufschlussreich. Schaun mer mal. Interessant ist die Aufnahme allemal.

Viele Grüße

Jochen
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Melomane hat geschrieben: 23.01.2021, 13:15 Dann sind die Violinen insbesondere und einige Blasinstrumente auffällig - die "schreien" gewissermaßen. Ich nehme an, dass das Konzept ist und die Doppelbödigkeit des Mahlerschen Blicks auf seine Zeit ausdrücken soll. Das wäre dann gelungen durch die Kombination sozusagen von oberflächlich hübsch und untergründig hässlich.
Hallo Jochen,

das Beiheft habe ich zwar nicht gelesen, aber ich vermute, du beziehst dich auf den 2. Satz mit obigem Kommentar. Und den finde ich in dieser Aufnahme ausgesprochen gelungen - erläutert Mahler doch dazu, dass "der Tod hier aufspiele". Um den Effekt des Schauerlichen erreichen zu können, schreibt Mahler vor, dass die Solo-Violine im 2. Satz um 1 Ton höher als normal gestimmt werden müsse, damit sie "roh und schreiend" klinge, eben wie wenn der Knochenmann zum Tanz aufspielt :cheers:
Leider wird das nicht immer auch so konsequent umgesetzt.

Ähnlich im 4. Satz, wo in der Partitur eine Frauenstimme mit "kindlich heiterem Ausdruck" gefordert wird. Das gelingt Anna Lucia RIchter nicht so ganz - ich höre da weniger eine kindliche als eine reife Frauenstimme. Dennoch stellt sie - für meinen Geschmack - den Verlust an positiven Jenseitsvorstellungen recht klar und hintergründig dar und singt mit hoher Wortverständlichkeit.

Beste Grüße
Jörg
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Noch eine Anmerkung:
die Bamberger sind schon eine starke Hausnummer bei Mahler mit viel Erfahrung: angefangen von ihren Aufnahmen unter Jascha Horenstein bis hin zu der phänomenalen Gesamtausgabe unter Jonathan Nott.

Horenstein hat die 4. um 1970 übrigens auch mit dem London PO eingespielt. Man höre sich da nur mal die Engelsstimme von Margaret Price an!

Beste Grüße
Jörg
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Anmerkung 2:
Ich habe mir die Aufnahme sogar noch ein zweites Mal angehört (dauert ja nicht mal eine kurzweilige Stunde :lol: ) und empfinde sie als sehr räumlich mit exakt ortbaren Instrumenten, insgesamt sogar recht luftig - offenbar tontechnisch sehr gut eingefangen.

Als ich nun auch das Beiheft mal gelesen habe, kommt - auch durch die Fotos - eine weitere Erklärung dafür in Frage:
um die Corona-Hygienerichtlinien einzuhalten, wurden die ersten Zuhörersitzreihen abmontiert und dafür die Bühne um 2m erweitert. Zusätzlich wurden die Streicher ausgedünnt, damit alle Musiker nun den vorgeschriebenen Mindestabstand zueinander einhalten konnten.
Also quasi eine "luftige" Orchesteraufstellung :cheers:

Viele Grüße
Jörg
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Horse Tea
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Beitrag von Horse Tea »

alcedo hat geschrieben: 23.01.2021, 20:45 Anmerkung 2:
Ich habe mir die Aufnahme sogar noch ein zweites Mal angehört (dauert ja nicht mal eine kurzweilige Stunde :lol: ) und empfinde sie als sehr räumlich mit exakt ortbaren Instrumenten, insgesamt sogar recht luftig - offenbar tontechnisch sehr gut eingefangen.

Als ich nun auch das Beiheft mal gelesen habe, kommt - auch durch die Fotos - eine weitere Erklärung dafür in Frage:
um die Corona-Hygienerichtlinien einzuhalten, wurden die ersten Zuhörersitzreihen abmontiert und dafür die Bühne um 2m erweitert. Zusätzlich wurden die Streicher ausgedünnt, damit alle Musiker nun den vorgeschriebenen Mindestabstand zueinander einhalten konnten.
Also quasi eine "luftige" Orchesteraufstellung :cheers
Hallo Jörg,

ich habe die gegengesetzte Hörerfahrung in der Digital Concert Hall gemacht. In der "Früh(lings)phase von Covid-19 mussten die Musiker nicht nur ohne Publikum, sondern auch mit einem sehr großen Sitzabstand und ausgedünnter Besetzung musizieren. Das ist inzwischen wieder (etwas) besser geworden, weil der Sitzabstand inzwischen wieder reduziert wurde. Ich habe aber den Eindruck, dass alle drei Faktoren die Tonings vor einige Probleme gestellt haben. Dabei erscheint mir das fehlende Publikum der wichtigste Faktor zu sein, da dies wohl für die Raumakustik von überragender Bedeutung ist, sofern der Akustiker dies in der Planung oder durch Nachbesserungen einbezogen hat. Es wird aber vermutlich schwierig werden, unseren unterschiedlichen Eindruck zweier Konzertereignisse schlüssig zu erklären.

Viele Grüße
Horst-Dieter
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hallo,

nun überträgt - so zumindest der Stand vor einiger Zeit - die Digital Concert Hall im lossy-Kompressionsformat. Wer weiß, was da für Seiteneffekte ins Spiel kommen.

Viele Grüße

Jochen
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

Hallo Horst-Dieter

es ist natürlich recht schwierig, so unterschiedliche Konzertsituationen miteinander zu vergleichen.

Ich war (leider) bislang noch nie in der Bamberger Konzerthalle und weiß auch nicht, ob die Akustik dort mit oder ohne Zuhörer (ein)geplant wurde. Zumindest von der Elbphilharmonie Hamburg und dem Kopenhagener Konzerthaus meine ich gelesen zu haben, dass dort u.a. die Bespannung der Stühle (auch die Unterseite der Klappstühle!) einberechnet wurden.
Seis drum - die Aufnahme der Bamberger ist in der Tat auch akustisch sehr gelungen.

Da die Aufnahme im Juli 2020 stattfand, könnte eine weitere Erklärung aber auch sein, dass überhaupt nicht ohne Publikum aufgenommen wurde! Zwar zeigen die Fotos leere Räume - es sind aber Probesitzungen. Im Juli 2020 fand in Bambnerg der traditionelle Mahler-Wettbewerb statt, bei dem auch die 4. Symphonie gespielt wurde. Ich kann mir gut vorstellen, dass man dies genutzt hat für die Aufnahme.

Viele Grüße
Jörg
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hallo Jörg,

da käme dann allenfalls das Konzert am 05.07.2020 in Frage. Es hat in dem Monat überhaupt nur zwei Konzerte gegeben laut Webseite der Bamberger. Das am 5. war das Abschlusskonzert des Mahlerwettbewerbs. Was da gespielt wurde, ist nicht ersichtlich. Denn es heißt nur "Das Programm des Konzerts ergibt sich aus dem Wettbewerbsrepertoire." Aber ich denke, es wurde vermutlich im Anschluss an den Wettbewerb aufgenommen, als man eingespielt war. Nun ja, man könnte eine Anfrage stellen. ;)

Viele Grüße

Jochen
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alcedo
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Beitrag von alcedo »

So ist es:
"Die Bamberger Symphoniker entwickelten früh ein Konzept für sicheres Konzertieren in Zeiten der Pandemie. So konnte Anfang Juli 2020 ihr renommierter Mahler-Wettbewerb, in dessen Zentrum abermals Mahlers Vierte stand, stattfinden. In diesem Rahmen entstanden auch diese ersten (und bis heute seltenen) sinfonischen Aufnahmen in Corona-Zeiten. "

Grüße, Jörg
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