Aktivlautsprecher in der Zeitschrift "HiFi-Stars"

wgh52
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Beitrag von wgh52 »

Hallo Winfried,

vielen Dank füe die ausführliche und prägnante Stellungnahme. Mit einigen der Neuregelungen kann ich mich zwar auch nicht anfreunden, habe aber eine kurze Rückfrage:

Sprache und Schriftsprache entwickeln sich ja ständig weiter, falls das nicht der fall wäre, würden wir uns immernoch wie in vergangenen Jahrhunderten ausdrücken. Diese Aussage ist bewußt neutral gemeint, also nicht pro oder contra Rechtschreibreform zu verstehen!

Jetzt meine Frage: In welchem Umfang vollzieht die Rechtschreibreform 2000 "de facto bereits eingetretene Änderungen der Schreibgewohnheiten" nach und inwieweit macht sie aus anderen Gründen Änderungen?

Danke und Gruß,
Winfried
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JOE
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Beitrag von JOE »

Lieber Winfried,

ich kann Dir im Prinzip nur beipflichten. Dies um so mehr, als das Argument der erleichterten Richtigschreibung einerseits keineswegs die Fortschritte gebracht hat, die man vorhergesagt hatte, andererseits als zu stark betont zurückgewiesen werden muss: Schließlich wird ja erheblich mehr gelesen, als geschrieben, was eine Präferierung der Leserperspektive legitimiert.

Gleichzeitig ist aus dem Argument, dass der Sprachgebrauch bestimmt, wie sich eine Sprache entwickelt, eine doppelte Konsequenz zu ziehen: die Ablehnung vieler mit der "Reform" verordneter Änderungen, aber auch die Bereitschaft zur Anpassung an den sich sukzessive ergebenden Schriftsprachgebrauch.

Ich habe für mich sowohl als Privatperson, als auch als Gutachtenverfasser den Schluss gezogen, die Schreibweisen lockerer zu begreifen und auch selbst zu verwenden (wie Du ja gerade gesehen hast). So schreibe ich inzwischen aus rein optischen Gründen überhaupt keine Tripletten, auch da nicht, wo sie nach der alten Schreibweise und aus der Aussprache her begründet waren und sind ("meine" Sauerstofflasche wird nur deshalb bei mir zur "Sauerstoff-Flasche", weil es ja auch das Wort "Lasche" gibt). Besonders schlimm finde ich Wörter mit 3 platzgreifenden "m" oder "s": Da ist optisch ein richtiger Klotz im Schriftbild. Bei "Platz greifenden / platzgreifenden" bin ich für beide Schreibweisen offen, ganz einfach weil beides m. E. gleich gut gelesen werden kann.

Bei Klein- und Großschreibung gehe ich mehr meinem Gefühl nach und halte mich nicht mehr sklavisch an die früheren Regeln.

Den einzigen Fortschritt für prinzipiell "gebildete" Leute wie uns (denen man Schreibfehler also nicht unbedingt als Zeichen von Ungebildetsein ankreidet, was übrigens noch nie ausreichend miteinander korrelierte!) sehe ich in einer neu gewonnenen Freiheit vor dem Hintergrund der "amtlich verordneten Beliebigkeit".

Rudolfs Kritik kann ich ebenfalls verstehen. Da die HiFi-Stars aber noch kein Massenmedium geworden sind, wird eine problematische Schreibprägung statistisch gesehen nicht zu erwarten sein, sondern bestenfalls dieser oder jener Einzelperson Mut machen, so zu schreiben, wie sie es richtig empfindet. Freilich sollte diese individuelle Freiheit nicht einhergehen mit einer grundsätzlichen Gleichgültigkeit gegenüber der Sprache.

Letzteres beklage ich bei so manchem Beitrag, den man im Internet zu lesen bekommt. Dabei täte es auch manchem Inhalt gut, wenn im Zusammenhang mit dem Schreiben mehr reflektiert würde - der Inhalt wie auch die Form. :mrgreen:

Gruß
Joe


PS: Es ist eine Ironie der Geschichte, dass gerade Leute (von profanen ökonomischen Interessen mal abgesehen, die ja durchaus auch eine Rolle gespielt haben), die sich berufen gefühlt haben, der Bevölkerung neue Schreibweisen zu verordnen*, eine tiefe Ungebildetheit bezüglich elementarer Sprachaspekte bewiesen haben. Da geschieht es ihnen grad recht, dass sie über weite Strecken das Gegenteil von dem erreicht haben, was sie sich zum Ziel gesetzt hatten. Du wirst diese Sichtweise nicht teilen können, aber ich kann mich schon angesichts der erwähnten Freiheitsdimensionen an diesem Treppenwitz der Geschichte erfreuen.

* Schon dies ist ein grundsätzliches Missverständnis!
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JOE
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Beitrag von JOE »

Ich sollte wohl noch eine Klarstellung und eine Ergänzung machen:
  • Wenn ich gerade geschrieben habe
    Den einzigen Fortschritt ... sehe ich in einer neu gewonnenen Freiheit vor dem Hintergrund der "amtlich verordneten Beliebigkeit".
    so versteht es sich wohl von selbst, dass die neuen Freiheiten, die ich mir hier und da nehme, immer dem Primat der guten und eindeutigen Lesbarkeit untergeordnet bleiben. Freiheiten, die sich verselbständigen sind mir ein Greuel, weil sie schnell in Beliebigkeit münden.
  • Was die von Dir angeführten Beispiele und das dahinter stehende Prinzip angeht, so sieht das bei mir nicht anders aus. Ich habe es vorhin nur vergessen, ausdrücklich zu erwähnen, weil das für mich so selbstverständlich ist.
Gruß
Joe
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Winfried Dunkel
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Beitrag von Winfried Dunkel »

Hallo Winfried (wgh 52),

ich bin kein Germanist, habe allerdings neben meinem damaligen Hauptberuf zehn Semester Altamerikanistik mit Schwerpunkt südamerikanische Indianersprache Quechua, Geschichte, Kultur und Religionen der Inka-Völker gemacht. Beim Studium der Quechua-Sprache erkannte ich, welche immensen Ausdrucksmöglichkeiten das Deutsche besitzt: Quechua funktioniert nämlich agglutinierend-nominalisierend, Beispiel: "ich bin ein zukünftig Dich Besuchender". Bei den erforderlichen Interlinearisierungen lernte ich, Deutsch auf alle erdenklichen Weisen zu drehen - und erkannte, was wir an dieser unglaublich flexiblen Sprache haben. Und davon wurde vieles durch die kenntnisarmen Rechtschreibreformatoren zerstört; das erklärt meine Oppositionshaltung auch psychologisch.

Endlich zu Deiner Frage: Aus meiner Sicht der Dinge (Entwicklung siehe oben) möchte ich sagen, daß eine Sprache sich selbstverständlich über die Generationen hin verändert. Alte Begriffe verschwinden, neue gliedern sich ins Vokabular ein. Dieser Prozeß findet natürlicherweise seit jeher statt: Das Altmittelhochdeutsch aus der Zeit eines Walther von der Vogelweide versteht heute niemand mehr: "Loibere risen van den Boimen, drumb stant blot ihr Ästen". (Blätter fallen von den Bäumen, darum stehen die Äste bloß.) Goethe schrieb noch "seyn" statt "sein", allgemein waren in diesen Zeiten dialektale Einflüsse im geschriebenen Wort stärker ausgeprägt, was durchaus auch für neuere Dezennien gilt: Bei uns in Bonn finden sich in der Sprache zahlreiche adaptierte französische Begriffe, die aus der napoleonischen Besatzungszeit stammen.
Das meine ich mit "natürlicher Entwicklung". Dazu zählen auch die zunehmend übernommenen Anglismen (ich schreibe das ohne dieses überflüssige Leermorphem -zi): Englisch als starke Weltsprache muß notwendigerweise (auch durch die Internetkommunikation) erhebliche Einflüsse ausüben - allerdings ist festzustellen, daß gerade der anpassungs- und abnickungsfreudige Deutsche hier einmal mehr die negative Spitzenposition einnimmt; in anderen Sprachen (ich beziehe mich jetzt auf die Weltsprachen Spanisch und Französisch) finden wir keinen solchen Wildwuchs wie bei uns. "Sie haben eine interoffice massage auf der terminal line - möchten Sie sie nicht receiven?" Die Franzosen sind da selbstbewußter: Ein PC ist ein "Calculateur Numerique", eine Schlagbohrmaschine heißt "Perforateur"... Wie gesagt, hierzulande paßt man sich an ... geschichtsbedingt...?

Die neue Rechtschreibung (redaktionsintern "neue Falschschreibung" genannt) wurde nolens volens "verordnet", "von oben" unters widerspruchsungewohnte Volk gebracht. Traurig (persönliche Meinung!), daß fast alle brav und folgsam mitmachen. Enttäuscht war ich speziell vom SPIEGEL: Dieses in seiner Vergangenheit so kämpferisch-mutige Magazin paßte sich an, paßte sich an wie ein Kind, dem man sagt: Tu' dies und jenes! Übrigens gegen den Willen des (verstorbenen) Herausgebers Rudolf Augstein.
Die neue Rechtschreibung ist mithin nichts "Entwickeltes" und "Gewachsenes", sondern eine behördlich verordnete Form. Zum Glück ist dies Land aber immer noch frei genug, daß man selbst entscheiden kann, wie geschrieben wird, nämlich "alt" oder "neu" oder irgendwas dazwischen. Und offensichtlich hat der ganze Reformunsinn schulisch nichts gebracht (was ja mit ein Grund war, die nach unten angepaßte Schreibe zu dekretieren), großzahlig existierende Schulabgänger, die Mühe haben, ihren Namen zu schreiben und lesenderweise mühsam von Silbe zu Silbe stolpern, sind Beweis genug.

Gruß: Winfried (der aus Bonn)
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Kienberg
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Beitrag von Kienberg »

Hallo Winfried,

danke für Deine ausführliche Begründung zur Wahl der Rechtschreibung in HIFI-STARS.
Winfried Dunkel hat geschrieben:Die Redaktion HIFI-STARS lehnt die neue Rechtschreibung wegen der mit ihr einhergehenden Verarmung der Ausdrucksmöglichkeiten sowie ihrer inhärenten Fehler konsequent ab. Unsere Leser, mehrheitlich „Vierzig plus“, stimmen dem erklärtermaßen zu; dies und die vorgängigen Betrachtungen sind Basis für die Verwendung der alten Rechtschreibung.
Wenn ich ein Buch, eine Tageszeitung oder ein Fachmagazin kaufe, mache ich dies am wenigsten von der dort verwendeten Rechtschreibung abhängig....sie ist mir eigentlich "völlig wurscht".....Hauptsache der Inhalt beschäftigt sich mit Dingen, die mich interessieren, der Text muss ausreichend mit guten, aussagekräftigen Bildern (...mehr als die 1000 Worte) ergänzt werden (so kaufe ich z.B. grundsätzlich kein Fachbuch, dass meint, ohne Bilder auszukommen) und ich darf nicht den Eindruck gewinnen, einen "Werbekatalog" für teures Geld erstanden zu haben.

Gruss
Sigi
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Rudolf
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Beitrag von Rudolf »

Was man mit einer kleinen Randnotiz so alles erreicht:
Rudolf hat geschrieben:By the way, liebe Macher der HiFi-Stars, ich finde es doch ein bisschen spleenig, immer noch an der alten deutschen Rechtschreibung festzuhalten. [...] Dies bitte nur als kleine Randnotiz verstehen.
:wink:

Eure Argumente kann ich sehr gut nachvollziehen, geht es mir doch genauso (bin ja schließlich in der Alters-Zielgruppe der HFi-Stars). Trotzdem meine ich, dass irgendwann einmal Schluss sein muss mit der Forderung nach dem Rückdrehen der Schlechtschreibreform. Worauf sollen sich unsere Kinder noch alles einstellen?

Viele Grüße
Rudolf
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Franz
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Beitrag von Franz »

Rudolf,

wir fordern ja nicht die Rücknahme der "Reform", sondern ignorieren sie einfach. Und dafür bitten wir um Verständnis.

Gruß
Franz
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Kienberg
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Beitrag von Kienberg »

Franz hat geschrieben:Rudolf,wir fordern ja nicht die Rücknahme der "Reform", sondern ignorieren sie einfach
Habe das schon verstanden, Franz, aber, Achtung beim Update von Word, da wird Ruck-Zuck (hab ich das jetzt in NEU oder in ALT oder garnicht richtig geschrieben ? :mrgreen: ) die "Neue" installiert :wink:

Gruss
Sigi

ps. Rudolf, wie wärs denn mit einem Modul zur Rechtschreibprüfung hier im Forum ? 8)
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Winfried Dunkel
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Beitrag von Winfried Dunkel »

Hallo Joe,

Deine Argumente sind ebenso überzeugend wie fundiert. Wie gesagt, respektiere ich die Meinungen anderer Menschen.

Gruß: Winfried
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Winfried Dunkel
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Beitrag von Winfried Dunkel »

Kienberg hat geschrieben:ps. Rudolf, wie wärs denn mit einem Modul zur Rechtschreibprüfung hier im Forum ? 8)
Hallo Sigi,

in meinem PC ist die Rechtschreibprüfung deaktiviert, damit Word mir nicht in die Schreibe reinpfuscht. Vor längerer Zeit wollte ich im Rahmen einer Musikrezension das spanische Wort für Laute (laúd) tippen - die Rechtschreibprüfung machte stets "ladu" daraus... Ergo: Ausschalten!

Gruß: Winfried
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JOE
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Beitrag von JOE »

Winfried Dunkel hat geschrieben:Ergo: Ausschalten!
Genau!

Ich schalte die Korrekturfunktion nur nach Fertigstellung längerer Texte kurz ein, um banale Tippfehler angezeigt (nicht: geändert) zu bekommen. Wenn das erledigt ist, schalte ich sie sofort wieder aus.
Kienberg hat geschrieben:Rudolf, wie wärs denn mit einem Modul zur Rechtschreibprüfung hier im Forum ? 8)
Dann aber bitte gleich den 3er Verbund: Rechtschreib-/Grammatik-Prüfung + Logikprüfung + Argumentationsautomatik*! :mrgreen:

* ELIZA 17.3.1

Gruß
Joe
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Rossi
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Beitrag von Rossi »

Die neue Rechstschreibreform ist für mich mit das Überflüssigste was es gibt und ich kann nur jedes Magazin/jede Zeitung begrüßen, die noch nach den "alten" Regeln schreibt. Bild

Und daß es sogar eine Rechstschreibprüfung für den ganzen PC gibt (kenne so etwas nur von Word und da sind die alten Regeln eingestellt), war mir bislang noch gar nicht bewußt. :lol:

Stefan
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axxxxx

Beitrag von axxxxx »

Rossi hat geschrieben:Die neue Rechstschreibreform ist für mich mit das Überflüssigste was es gibt und ich kann nur jedes Magazin/jede Zeitung begrüßen, die noch nach den "alten" Regeln schreibt. Bild
Dem pflichte ich vollumfänglich bei!

Die sog. Rechtschreibreform ist nur ein Entgegenkommen an das Bildungs-Prekariat, welches z. B. die korrekte Benutzung des Dativs schon vor Jahrzehnten aufgegeben hat.

Ein Graus!

Gruß,
Kai
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Beitrag von uli.brueggemann »

aston456 hat geschrieben:welches z. B. die korrekte Benutzung des Dativs schon vor Jahrzehnten aufgegeben hat.
... welches dem Dativ seine korrekte Benutzung schon vor Jahrzehnten aufgegeben hat. :mrgreen:

Uli
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Rossi
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Beitrag von Rossi »

aston456 hat geschrieben:
Rossi hat geschrieben:Die neue Rechstschreibreform ist für mich mit das Überflüssigste was es gibt und ich kann nur jedes Magazin/jede Zeitung begrüßen, die noch nach den "alten" Regeln schreibt. Bild
Dem pflichte ich vollumfänglich bei!

Die sog. Rechtschreibreform ist nur ein Entgegenkommen an das Bildungs-Prekariat, welches z. B. die korrekte Benutzung des Dativs schon vor Jahrzehnten aufgegeben hat.

Ein Graus!
Hey Kai, da sieht man mal wieder was passiert, wenn man keine Rechtschreibprüfung im Hintergrund laufen hat und seine Beiträge nur eben mal so husch-husch verfaßt. :mrgreen: :mrgreen: :mrgreen:

Apropos: der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. 8)

Stefan
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