Fortepianus hat geschrieben:Mein Fazit: Es gibt offensichtlich Aufnahmen (wie Elixir), bei denen ein sehr positiver Effekt festzustellen ist. Es gibt aber auch Aufnahmen, bei denen das Gegenteil der Fall ist. Gerade bei solchen Aufnahmen, die eine gute Darstellung des Aufnahmeraums haben und dies vermutlich über Laufzeitstereo erreichen, leidet die Räumlichkeit deutlich, zumindest bei mir.
Hallo Gert,
ähnliche Beobachtungen habe ich auch (und auch bezüglich Laufzeitstereoaufnahmen) gemacht, jedoch stelle ich auch die Gretchenfrage: kann man mit Laufzeitstereo eine gute, nämlich präzise räumliche Darstellung bekommen?
Peter hat
hier auf Eberhards
Script hingewiesen, wo Blumlein Mikrofonierung als die beste und genaueste Technik gelistet wird, die liefert aber Intensitätsstereofonie. Unter "
1. Akkurat nachbilden" steht jeweils diese Koinzidenz-Mikrofonie an erster Stelle. Danach folgt:
sengpielaudio hat geschrieben:2. Neu erschaffen (aktiv)
Kreativ gestaltete Aufnahmen erzeugen beim Hörer eine Klangillusion von etwas, was sich niemals genau so ereignete. Die Erzeuger dieser Illusion möchten aber, dass es so gewesen sei und sie möchten die Zuhörer zu aktiven Teilnehmern dieser Illusion machen, auch wenn das eigentlich unmöglich ist. (Walt Disney lässt grüßen)
Wenn man ein Hörereignis selbst erarbeitet, so gibt es recht viele Veränderungsmöglichkeiten: Multi-
Mikrofonanordnung und Mehrspuraufzeichnung, Signalverarbeitungssynthese und künstlicher Hall werden hierbei im Allgemeinen angewendet, um ein neues und einzigartiges Hörereignis zu schaffen.
Fazit: Man weiß als Konsument nicht, was noch echt, und was nur Ergebnis von Manipulation ist. Indes, es gefällt. Und manche Aufnahmen erzeugen eine wirklich schöne Illusion, einige in einer heimischen Anlage, hingegen bleiben vertraute Effekte gelegentlich auf einer anderen Anlage aus.
Ich würde das so abgrenzen: Der unverwechselbaren Eindeutigkeit einer koinzidenten Mikrofonpositionierung steht die Beliebigkeit der AB-Laufzeitstereofonie gegenüber. Breit aufgestellte Kugelmikrofone öffnen gewissermaßen die Büchse der Pandora ...:
Um eine Lokalisation außerhalb der Stereobasis zu bekommen, reicht ein reiner Intensitätsunterschied nicht mehr aus. Der leisere LS hat kaum noch Einfluss, sobald die Kanaldifferenz 20 dB deutlich übersteigt, der Klang klebt dann an der lauten Box. Erst wenn man gegenphasige Signalanteile vom anderen Kanal hinzumischt, wird die Wiedergabe noch breiter, geht über die Boxenbasis seitlich hinaus. Von Phasendifferenzen gibt es bei der Laufzeitstereofonie reichlich. "Räumlichkeit" ist wohl demnach überwiegend nichts anderes als ein Zufallsprodukt (manchmal auch noch gefördert von Seitenwandreflexionen). Welcher Mechanismus bei Stereo kann eine scharfe Abbildung außerhalb der Lautsprecherbasis generieren, außer Q-Sound mit geschickt manipulierten Monosignalen?
Die Laufzeitstereophonie wird mit Mikrofonen mit Kugelcharakteristik erzeugt; abgesehen von den Instrumenten in der Stereomitte hat jedes Instrument seinen eigenen Abstand zum linken, aber auch einen anderen zum rechten Mikrofon. Am Sweetspot abgehört, sind die zusätzlichen Laufzeiten der symmetrisch aufgestellten Stereolautsprecher kanalgleich, also kommen die Höhen in der Summenlokalisation mit Phasendifferenzen und resultierenden Kammfiltereffekten an. Ob der zweifellos gute und tiefreichende Bass-FG der Druckempfängermikrofone das alles wettmachen kann?
Spielt man Chormusik mit passiven Boxen und Single-Wire Verkabelung, mag der Chor zwischen den Boxen singen, bei der Bi-Wire-Verkabelung wird auf einmal ein wandfüllendes großes Erlebnis daraus. Man hat ein etwas höhenlauteres und breiteres Klangbild, welches differenzierter wirkt, viel Räumlichkeit herzaubert, aber einzelne Stimmen nicht mehr scharf abbildet, weil deren Grund- und Obertöne nicht koinzident projiziert werden (außer, die Box ist ausschließlich für diese Bedingung abgestimmt worden).
Bei impulshaften Lauten helfen die obertonreichen Transienten bei der Ortung. Speziell Aufnahmen in Intensitätsstereofonie, und alles, was von Monofeeds mittels Panning zusammengemischt wurde, profitieren von LoCo am meisten, indem die Bässe breiter und die Höhen enger abgebildet werden. Hingegen zeigt sich bei Laufzeitstereofonie und ihren Blähungen manchmal mit FLOW, LoCo und ähnlichen Methoden, dass nichts gerettet werden kann.
Elixir ist positiv, auch Barb Jungr ist polaritätskorrekt, aber was ich von ihr (BJ) auf dem Linn-Label kenne, ist relativ stark dynamikkomprimiert. Von Misa Criolla und Jazz At The Pawnshop weiß ich, dass sie invertiert geliefert werden, bei dem Liszt auf Chandos vermute ich, dass diese Scheibe ebenfalls -wie alle meine Chandos- invertiert sind. Spielt man sie korrigiert ab, sind diese Aufnahmen etwas weniger "räumlich", weniger diffus, haben mehr Fokussierung, Prägnanz und Vorn-Hinten-Unterscheidung.
Was passiert eigentlich mit dem Klangempfinden, wenn die Lokalisation von Grundtonspektrum und Obertonspektrum einer Phantomschallquelle zur Deckung gebracht werden?
Da gibt es einerseits die Zeitebene, die stellt sich sich als Sprungantwort dar, meist mit einem Nacheinander von vorausgehenden Hochton, danach eintreffenden Mittelton und hinterherschleppenden Bass mit langdauerndem ausklingenden Bass (bei identischer Dämpfung dauern tieffrequente Schwingungen prinzipiell länger). Der Unterschied vom zeitkoinzidenten Hochton gegenüber zeitkohärentem Zusammenspiel mit MT und Bass ist die geringere Exposition des Hochtons, seine mühelose Integration in die Musik. Der Hochton eilt nicht mehr voraus, ist nicht freigestellt, wirkt nicht mehr HeiFie-mäßig aufdringlich.
Und es gibt die Intensitätsebene: Frequenzabhängige laterale Verschiebung, bis die Lokalisation von Grund- und Obertönen zusammenkommt, hat einen scheinbaren Hochtonverlust zur Folge, der messtechnisch aber keiner ist, die geänderte Basisbreite erzeugt denselben Monosummensignalpegel. Eine seitlich verschobene MT/HT-Leiste andert ja auch nichts an der abgegebenen Schallleistung, wohl aber an der wahrgenommenen Abbildungsschärfe der Phantomschallquellen. Sobald die Bässe und Höhen wahrnehmungsmäßig in einem Punkt vereint sind, werden die Obertöne und Grundtöne zum integralen Bestandteil der Phantomschallquelle, die das Instrument darstellt, bleiben nicht mehr seitlich abgekoppelt und auch nicht mehr auffällig. Die Wiedergabe ist weniger diffus.
Als Ursache für diesen Effekt kann die Rayleighsche Duplex-Theorie des menschlichen Hörens herangezogen werden: Wenn angemessene Laufzeitunterschiede für die Lokalisation im Grundtonbereich fehlen, wird schlechter lokalisiert, weniger breit gestaffelt.
Wenn bei Gesang die Zischlaute hervorstechen, wird (nach Blauert, Blauertsche Bänder) die Höhenortung aktiviert, die Stimme scheint vor uns zu stehen, nicht einfach auf Höhe des Hochtöners zu singen. Ein nettes Artefakt, welches bei De-Esser Einsatz uns auf den Boden der Tatsachen zurückholt, Stereo kann die Ebene der Höhe nicht speichern und wiedergeben. Integrieren sich die Zischlauter stärker mit den Kehllauten, geht die Illusion etwas verloren, dass die Sängerin "steht". Schade.
Nähert man sich einer Schallquelle, scheint sie aufzusteigen, die intensiver wahrgenommenen Obertöne erzeugen den Effekt "Elevation".
Für mich sind die Musiker und deren (Phantomschallquellen-)Lokalisation und Klangfarbe zunächst erstmal vorrangiges Ziel, und die "Räumlichkeit" steht hintenan, die richtige Menge passend hinzugefügter Hallsoße mag Geschmackssache sein oder gehört zum Handwerk der tonschaffenden Zunft.
Grüße Hans-Martin