Hallo zusammen,
um dieses Thema wieder aufzuwärmen möchte ich auf einen umfangreichen Beitrag von Archimago hinweisen:
Stereo Crosstalk Cancellation (XTC): A review by STC. And trying out uBACCH, ambeo.one, and AmbiophonicDSP VST plus Foobar foo_dsp_ambio plugins
Das Prinzip
Sicher wiederhole ich jetzt einiges, was hier schon geschrieben wurde. Aber ich denke es schadet nichts das Prinzip nochmals zu skizzieren.
Im Bild unten wird das Wirkprinzip schnell deutlich. Ziel ist es, das Übersprechen zum gegenüberliegenden Ohr zu reduzieren. 1986 fanden Experimente mit einer physischen Trennwand zwischen den beiden Lautsprechern statt. Da keiner so hören will, wurden Lösungen in der Digitalverarbeitung gesucht.
Quelle: Archimago
In diesem Zusammenhang ist die
HRTF (Head-Related Transfer Function) Filterwirkung wichtig. Es charakterisiert, wie ein Ohr den Schall von einem Punkt im Raum empfängt. Wenn der Schall auf den Zuhörer trifft, verändern die Größe und Form des Kopfes, der Ohren, des Gehörgangs, die Dichte des Kopfes, die Größe und Form der Nasen- und Mundhöhlen den Klang und beeinflussen, wie er wahrgenommen wird, indem einige Frequenzen verstärkt und andere gedämpft werden. Im Allgemeinen hebt der HRTF Frequenzen im Bereich von 2 bis 5 kHz mit bis zu 17 dB (bei 2.7 kHz) an. Aber die Frequenzkurve ist komplexer und variiert von Person zu Person erheblich. Siehe:
head-related transfer function (HRTF).
Abgrenzungen
Stereo Crosstalk Cancellation (XTC) ist nicht zu verwechseln mit immersiven Audio (3D-Audio, Ambisonics), welche mit Hilfe zusätzlicher Kanäle und Lautsprecher arbeiten. XTC soll mit "zwei" Lautsprechern eine Räumlichkeit so erzeugen, als ob es Dutzende von Lautsprechern gäbe.
Witzigerweise gibt es bei Kopfhörern genau die entgegengesetzte Zielsetzung. Crossfeed soll das Hören über Kopfhörer dem Erlebnis über ein Lautsprecherpaar nachempfinden. Die bei Lautsprechern vorhandenen Schallanteile, welche mit leichter Verzögerung auch an das andere Ohr gelangen, werden mit Crossfeed nachträglich in das Signal eingeführt.
Wer nun denkt, mit Kopfhörern „ohne“ Crossfeed ist das Problem erledigt, liegt falsch. Weil die Interaktion (HRTF) des Kopfes und die Ohren mit dem Schall durch Kopfhörer physisch nicht möglich ist. Binaurale Aufzeichnungen versuchen das zu kompensieren.
Lösungsmodelle
Wenn ich es richtig verstanden habe, gibt es zwei vorherrschende Lösungsmodelle. Das eine Modell arbeitet mit dem
RACE-Algorithmus (Recursive Ambiophonic Crosstalk Elimination), auch bekannt als
Ambiophonics. RACE wurde von Ralph Glasgal und Robin Miller in ihrer Arbeit aus dem Jahr 2006 entwickelt und kostenlos veröffentlicht.
Der für mich wichtigste Nachteil ist, dass die Lautsprecher sehr eng zusammenstehen müssen. So möchte ich nicht Musik hören.
Quelle: Archimago
Das andere Modell ist
BACCH® 3D Sound, lizenziert von der Princeton University. Im Idealfall werden mit einem binauralen Mikrofon die Lautsprecher und die Schallanteile zu den Ohren erfasst. Oder es erfolgt eine virtuelle Erfassung der Lautsprecher-Ohrpositionen. Ein wesentlicher Vorteil ist sicherlich, dass die Lautsprecher so aufgestellt werden können wie gewohnt.
Das hat alles seinen Preis. Allein das
BACCH® Binaural Microphone Pro kostet 2.980,00 US$. Dazu kommt die Software. Eine Preisübersicht gibt es hier:
BACCH4Mac Editionen.
Je nach Konfiguration gibt es dann sogar eine Webcam dazu, welche eine dynamische Sweet-Spot-Anpassung in Echtzeit für eine Vielzahl von Hörerpositionen ermöglicht. Die Person unten rechts ist im übrigen Edgar Choueiri, der mit Ralph Glasgal im Ambiophonics Institute zusammenarbeitete.
Quelle:
https://www.theoretica.us/bacch4mac/img ... umbers.jpg
Wer nicht mit Computern arbeiten will, kann auch gleich fertige Geräte wie
BACCH-SP kaufen.
Software
Die kostengünstigsten Lösungen beziehen sich auf den RACE-Algorithmus und lassen sich mit Plug-ins für zum Beispiel JRiver oder Foobar realisieren. Wer das testen möchte, liest sich am besten den oben verlinkten Artikel von Archimago (Teil III) durch. Wer einen miniDSP verwendet, kann das
Audio-Plug-in: Ambiophonics ausprobieren.
Getestet hat er auch das
uBACCH Audio-Plug-In, welches einen kostenlosen 14 tägigen Probelauf ermöglicht. Die BACCH-dSP-Software gibt es meines Wissens nur über die
BACCH4Mac Editionen.
Zusammenfassung
Ambiophonics invertiert das Originalsignal und gibt es verzögert über den gegenüberliegenden Kanallautsprecher wieder, so dass das sekundäre interaurale Übersprechen des ersten Lautsprechers und das invertierte Signal gleichzeitig am unerwünschten Ohr ankommen und so den Übersprechpegel reduzieren. Dieser Filter wird nach Gehör angepasst.
Der von der Princeton University eingeführte BACCH-Filter verwendet stattdessen Impulsantworten (BRIR - Binaural Room Impulse Response), die von einem Kunstkopf oder den Gehörgängen eines Zuhörers gemessen werden. Alternativ wird uBACCH angeboten, welches nach Entfernungsangaben den Filter berechnet. Mit BACCH verschlechtert sich das 3D-Bild allerdings, wenn man sich in Längsrichtung (rückwärts-vorwärts) von der Stelle entfernt, an der der BACCH-Filter entworfen wurde (der optimale Sweet Spot). Das 3D-Bild verschlechtert sich katastrophal (d.h. bricht zusammen), wenn sich der Zuhörer seitlich (ohne Headtracking) für mehr als 20 cm zu jeder Seite bewegt. Positiv ist, dass die Lautsprecher so stehen bleiben können wie gewohnt. BACCH würde ich bevorzugen.
Während Ambiophonics kostengünstig genutzt werden kann, muss für BACCH mehr ausgegeben werden. Immerhin scheinen die Preise nachzugeben, da die Software uBACCH für rund 340,00 US$ (mit Rabatt) zu haben ist. Der Königsweg scheint mir aber in einer echten HRTF Messung zu liegen. Da wird es freilich sehr viel teurer, weil ein binaurales Mikrofon benötigt wird.