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Focussierendes Array

Verfasst: 15.11.2015, 22:57
von cornoalto
Muss man denn ALLES selber machen?

Nein, nur das was es nicht zu kaufen gibt. Aus reinem Basteltrieb und Neugierde, wie ein auf einen definierten Hörplatz fokussiertes "Array" klingt, habe ich mich nach einer einmonatigen Recherche- und Planungszeit an dieses Projekt gewagt.

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Es existieren natürlich Nachteile und Unwägbarkeiten des Konzeptes:
Die Hörposition ist von vorneherein auf allen drei Achsen festgelegt, d.h. in axialer Richtung +/- 20 cm, horizontal max. +/- 10 cm und vertikal ebenfalls +/-- 10 cm Bewegungsfreiheit des Kopfs. Das Bündelungsverhalten der Breitbänder und die konkave Schallwand erfordern also, sich als Hörer auf einen absoluten Sweet Spot einzulassen, wobei die größte Toleranz in axialer Richtung liegt. Wenn ich mich vom Hörplatz erhebe, fehlen sofort sämtliche Höhenanteile. Aber ich betreibe kein Tanzlokal, sondern bin es gewohnt, aufmerksam der Musik an meinem Hörplatz zu lauschen - für mich also kein Problem. Und das Abstrahlverhalten im Raum... Aber da kommt es eben auch auf die akustischen Eigenschaften in diesem meinem Hörraum an, die diesbezüglich überhaupt keine Probleme machen. Der durch die Krümmung bedingte Zeitversatz der reflektierten Schallanteile, die am Ohr ankommen, ist möglicherweise sogar ein Vorteil.

Meine Motivation, so eine Pseudoarray, besser einen Breitbandlautsprecher zu bauen, dessen Abstrahlfläche ein 6 cm breiter und 1,8 Meter langer gürtelförmiger Ausschnitt aus einer Kugelkappe einer Kugel mit 5,8 Meter Durchmesser ist, in dessen Mittelpunkt sich das Ohr des Hörers befindet, fußt auf folgenden Überlegungen:

Große Breitbänder sind gut, da sie sehr plastisch und kohärent klingen. Kleine Breitbänder sind besser, da sie durch die kleinere Membran auch noch kontrollierter arbeiten: weniger Resonanzen, weniger Klirr, schnelleres Ein-und Ausschwingen.

Damit sollte, anders als bei 20-cm Chassis, bei komplexen, lauten Stellen eine stabilere Abbildung ohne Klangfarbenänderung oder Verdeckung von Details möglich sein. Ein Schwirrkonus mit den bekannten Effekten existiert natürlich auch nicht, da er nicht nötig ist. Als Einzelkämpfer ist ein Mini-Breitbänder aber zu leise und hat ab 120 Hz merklichen Schalldruckabfall.

18 kleine BB gleichen dieses Manko aus, da der Wirkungsgrad dann um ca.13 dB auf ca. 98 dB steigt und die abstrahlende Fläche derjenigen von 3-4 Stück 20 cm - Chassis entspricht. Damit könnte man den Frequenzgang auf 40 Hz runterzerren, was ich aber nicht mache, da ich es erst ab 130 Hz ankopple. Messungen haben ergeben, dass auch die gekrümmte Array bis 3 Meter Entfernung nur um ca. 3 dB pro Entfernungsverdopplung leiser wird, im Gegensatz zu 6 dB bei einem Kugelwellenstrahler. Daher kann ich nochmal 3 dB Wirkungsgrad - Verbesserung im Vergleich zu konventionellen Boxen draufschlagen. Den Bass übernimmt absolut bruchlos und trocken ohne Ortbarkeit ein Eckhorn, welches auch noch bei 130 Hz funktioniert.

Macht also zusammen mindestens 100 dB pro Watt/ Meter. Wirkungsgrad ist durch nichts zu ersetzen und wirkt sich klanglich m.E. immer in Richtung schnell und offen aus. Außerdem ist man verstärkermäßig flexibler.

Meine Array hat, auch wenn sie etwas gebogen ist, duch die eher zylinderwellenartige Abstrahlung schon mal nicht mit Bodenreflexionen und- für mich nicht hörbar- kaum mit Deckenreflexionen zu kämpfen. Durch eine über- Eck Aufstellung sind auch frühe Seitenreflexionen kein Thema. Die nur 12,5 cm schmale Schallwand ist bzgl. des Rundstrahlverhaltens sicher kein Nachteil. Durch die konkave, auf einen Hörplatz in 2,9 Meter Entfernung ausgerichtete Form wird der bei gestreckten Arrays durch vom Hörer unterschiedlich entfernte Chassis unvermeidliche Kammfiltereffekt vermieden. Eine präzise räumliche Darstellung und gute Darstellung von Transienten ist also zu erwarten.

Eine passive Frequenzweiche mit klangschädigenden Effekten existiert nicht. Die Vifa Papier-Breitbänder 9BN119/8 wurden nach einigen Hörversuchen sämtlich parallel geschaltet. Dadurch sieht jeder Breitbänder nur den Verstärker und nicht die Spulen der anderen Chassis. Man hört das im Vergleich zu der bei Arrays üblichen Parallel/ Serienschaltung in Form einer auf hohem Niveau klareren und räumlich noch präziseren Wiedergabe.

Der Klirr bewegt sich auf extrem niedrigem Niveau, und die Sprungantwort unterscheidet sich nicht von der eines einzelnen Chassis. Der unkorrigierte IACC Wert liegt am Hörplatz bei 98,5 % für die ersten 10 ms, für die ersten 20 ms bei 98.0%.

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Schwierig war wegen der Parallelschaltung die Suche nach dem richtigen Verstärker: 20 Watt sollten reichen, aber 0,5 Ohm Gesamtimpedanz lassen eigentlich nur Spezialkonstruktionen, extrem stromstabile und damit teure Verstärker,viele kleine Verstärker, oder Verstärker mit Anpassungsübertrager zu. Daher bin ich zunächst bei einem McIntosh Mc 2200 mit einer 1-Ohm Anzapfung am "autoformer", der nichts anderes als ein Spartrafo ist, hängengeblieben. Der Verstärker klingt wunderbar erdig, stabil und lässt der Musik und nicht den Details den Vortritt, ohne sie zu unterschlagen. Die Verstärkerfrage ist aber damit noch nicht endgültig beantwortet.

Eine digitale Frequenzgang-. und Phasenentzerrung war außer beim Bass eher kontraproduktiv, weshalb ich bei den Arrays darauf verzichtet habe und Acourate nur als Frequenzweiche für den Bass benutze.

Der Bau der Arrays war aufgrund der Krümmung ziemlich aufwändig und z.T. auch eintönig, wenn ich an die Verkabelung der 36 Chassis denke.

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Womit ich schon beim Klangeindruck bin:
Es klingt sehr natürlich, sauber, stabil und detailliert. Hallfahnen klingen tief nach hinten aus. Gleichzeitig ist die Darstellung äußerst plastisch und luftig. Phantomschallquellen sind, je nach Aufnahme, ein Fußballgroßes Objekt in der Mitte oder ein riesiger qm- großer Synteisizerteppich. Das System spielt so exakt in Phase, daß, die entsprechende Aufnahme vorausgesetzt, Schallereignisse wie Vogelgezwitscher auch mal hinter oder über dem Hörplatz verortet werden. Die Lautsprecher reichen die Klangsignatur des Verstärkers sehr deutlich weiter, so daß ich gar nicht von einer lautsprechereigenen Tonalität sprechen kann. Mit dem Mc geht es eher in die warme Richtung, was aber viel mit dem Übertrager des Mc zu tun hat.

Der Klangcharakter ändert sich nicht, egal wie laut man hört. Feindynamisch spielen die Arrays fast wie Elektrostaten, grobdynamisch ansatzlos explosiv wie ein gutes Horn und trotzdem stressfrei und neutral wie ein guter Mehrwegericher. Für mich persönlich, der ich mich zu den Nahfeldhörern rechne, ist dieser Lautsprecher die ideale Mischung aus den besten Eigenschaften von Elektrostaten, Fullrange Fronthörnen und Studio-Monitoren. Leider kann man so etwas nur selber machen (Qed)!

Frage: wer hat sonst noch Erfahrungen mit solchen oder ähnlichen Kontruktionen gesammelt? Gibt es Erfahrungen mit Anpassübertragern (der Firma Welter) für niedrigimpedante Lautsprecher, oder spezielle Verstärkern hierfür?


Viele Grüße

Martin

Verfasst: 16.11.2015, 01:24
von cornoalto
Nachtrag:

Und das ist die Sprungantwort und der IACC:

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Also alles im grünen Bereich!

gute Nacht, bis morgen!

Martin

Verfasst: 16.11.2015, 07:56
von FoLLgoTT
Hallo Martin,

ich finde es immer gut, wenn Leute versuchen, eine hohe Bündelung zu erreichen. Aber leider befinden sich in deinem Text einige falsche Annahmen, auf die ich im Moment gar nicht komplett eingehen kann.

Nur so viel: bei 10 cm Abstand zwischen den Treibern entstehen starke Nebenkeulen schon bei ca. 3 kHz (bei einem geschätzten Treiberabstand von 10 cm). Darüber kann von sauberer Wiedergabe keine Rede sein. Dementsprechend verfärbt sind dann auch die Boden- und Deckenreflexionen. Sie bestehen quasi nur aus den "chaotischen" Nebenkeulen.

Das horizontale Abstrahlverhalten deiner Lautsprecher wird sehr breit und eher ungleichmäßig sein. Du hast ja keine Schallführung verbaut. Zumindest breit halte ich aber in dem Fall nicht für schlimm, weil es vertikal ja deutlich stärker bündelt.

Zur Zylinderwelle: die ist stark frequenzabhängig mit der Entfernung. Wobei deine Linie für einen Wohnraum lang genug wäre (wenn sie ab 3 kHz funktionieren würde).
cornoalto hat geschrieben:Frage: wer hat sonst noch Erfahrungen mit solchen oder ähnlichen Kontruktionen gesammelt?
Ich hatte vor einiger Zeit selbst mal mit einem Linienstrahler experimentiert und auch das Legendre-Shading von Keele angewendet. Hier ist die Dokumentation. Vielleicht hilft die dir ja noch ein bisschen weiter. :)

Gruß
Nils

Verfasst: 16.11.2015, 16:25
von cornoalto
Hallo Nils,
FoLLgoTT hat geschrieben:Nur so viel: bei 10 cm Abstand zwischen den Treibern entstehen starke Nebenkeulen schon bei ca. 3 kHz (bei einem geschätzten Treiberabstand von 10 cm). Darüber kann von sauberer Wiedergabe keine Rede sein. Dementsprechend verfärbt sind dann auch die Boden- und Deckenreflexionen. Sie bestehen quasi nur aus den "chaotischen" Nebenkeulen.
Das musst Du mir genauer erklären:
Wenn die Array mit allen Treibern äquidistant und genau im Winkel auf den Hörer ausgerichtet ist, zielt die unverfärbte saubere Haupkeule auch über 3 kHz doch genau auf den Hörplatz. Wo soll da die Unsauberkeit herkommen?

Ich habe versuchsweise Boden- und Deckenreflexionen mit Schallschirmen und Absorbern versucht zu unterdrücken. Die klangliche Änderung war - vorsichtig ausgedrückt - äusserst subtil. Möglicherweise reagiert der Mensch auf Bodenreflexionen relativ unsensibel, da diese in der Natur immer vorkommen. Bezüglich des klanglichen Einflusses des Abstrahlverhaltens entscheidend ist doch die Lautstärke der (möglichst unverfärbten) Reflexionsanteile am Hörplatz im Vergleich zum Direktschall.
FoLLgoTT hat geschrieben:Ich hatte vor einiger Zeit selbst mal mit einem Linienstrahler experimentiert und auch das Legendre-Shading von Keele angewendet. Hier ist die Dokumentation. Vielleicht hilft die dir ja noch ein bisschen weiter. :)
Interessant wäre dein Experiment mit Schallführungen plus Krümmung der line. Dann wäre evt. die Welligkeit über 2000 Hz auch verbessert.

Viele Grüße

Martin

Verfasst: 16.11.2015, 17:12
von FoLLgoTT
Hallo Martin,
cornoalto hat geschrieben:Das musst Du mir genauer erklären:
Wenn die Array mit allen Treibern äquidistant und genau im Winkel auf den Hörer ausgerichtet ist, zielt die unverfärbte saubere Haupkeule auch über 3 kHz doch genau auf den Hörplatz. Wo soll da die Unsauberkeit herkommen?
Die Bündelung entsteht ja durch Interferenz zwischen den Treibern. Unter 0° löscht sich nichts aus, mit zunehmenden Winkeln jedoch immer mehr, weil der Zeitversatz zwischen den Treibern dafür sorgt, dass sich positive und negative Halbwelle gegenseitig auslöschen.

Ab einer gewissen Frequenz ist der Abstand der Treiber aber groß gegenüber der Wellenlänge. Und ab da kippt es. Dann addieren sich plötzlich zwei positive Halbwellen und es entsteht eine Nebenkeule. Dass deine Linie gekrümmt ist, ändert an dem Grundproblem nicht viel (zwei benachbarte Treiber sind ja quasi parallel). Es ändert nur das Muster ein wenig. Die von mir geschätzte Grenzfrequenz errechnet sich durch f = 342 m/s / 0,1 m. Die Nebenkeulen entstehen aber schon etwas früher, daher ca. 3 kHz.
Ich habe versuchsweise Boden- und Deckenreflexionen mit Schallschirmen und Absorbern versucht zu unterdrücken. Die klangliche Änderung war - vorsichtig ausgedrückt - äusserst subtil. Möglicherweise reagiert der Mensch auf Bodenreflexionen relativ unsensibel, da diese in der Natur immer vorkommen. Bezüglich des klanglichen Einflusses des Abstrahlverhaltens entscheidend ist doch die Lautstärke der (möglichst unverfärbten) Reflexionsanteile am Hörplatz im Vergleich zum Direktschall.
Interessant wäre noch das Bündelungsmaß und der "Diffusschall" ohne den Direktschall. Vielleicht sieht man da eine Überhöhung in dem Frequenzbereich. Vielleicht fällt es in deinem Raum aber auch gar nicht auf.

Gruß
Nils

Verfasst: 02.06.2020, 13:16
von chriss0212
Hallo Nils

ich würde Deinen Satz noch einmal gerne aufgreifen:
Die Bündelung entsteht ja durch Interferenz zwischen den Treibern. Unter 0° löscht sich nichts aus, mit zunehmenden Winkeln jedoch immer mehr, weil der Zeitversatz zwischen den Treibern dafür sorgt, dass sich positive und negative Halbwelle gegenseitig auslöschen.
In Martins Konstruktion gibt es doch am Hörplatz gar keinen Zeitversatz zwischen den Treibern. Der Bogen ist ja so gebaut, dass sowohl Winkel, als auch Entfernung auf den Hörplatz abgestimmt sind.

Interessierte Grüße

Christian