Heinz Josef Nisius: HiFi hören

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Klangliche Eigenschaften von Lautsprechern

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4.4 – Aspekte der Klangverfälschung


Wahrscheinlich wird es niemals einen fehlerlosen Lautsprecher geben. Musikwiedergabe über Lautsprecher ist folglich immer nur mehr oder weniger dem „natürlichen Klang“ angenähert, nur näherungsweise „naturgetreu“. Genau gesehen beruht also High-fideles Musikerlebnis auf einer spezifischen Sinnestäuschung.

Bekannte Ursachen

Über die meisten Ursachen von Klangverfälschungen durch Lautsprecher herrscht weithin Übereinstimmung:
  • Der Frequenzbereich von 20 Hz bis 20 kHz soll möglichst linear, also ohne erhebliche(?) Einbrüche oder Anhebungen übertragen werden. Ob er im Obertonbereich mit gleichem oder mit leicht abfallendem(?) Pegel übertragen werden soll, darüber sind sich die Experten schon nicht mehr einig.
  • Der Phasenfrequenzgang soll innerhalb gewisser(?) Grenzen bleiben.
  • Es sollen keine Interferenzen (Einbau- oder Aufstellungsresonanzen) auftreten.
  • Die Ein- und Ausschwingvorgänge von Lautsprechern sollen möglichst „kurzlebig“ sein.
  • Es sollen keinerlei Resonanzen oder Teilschwingungen (Membran, Einspannung, Gehäuse, eingeschlossenes Luftvolumen etc.) auftreten.
  • Es sollen keinerlei Verzerrungen auftreten (Klirrprodukte, verschiedenartige Modulationsverzerrungen, z.B, Dopplereffekt).
  • Der Lautsprecher soll eine gute(??) Richtcharakteristik haben.
Kurzum: Ein Lautsprecher soll möglichst impuls treu die zugeführte elektrische Energie in Schallenergie umwandeln.

Beschränkte Messungen

Zumindest „Praktiker“ der High-Fidelity sind der Auffassung, dass die üblichen Methoden der Objektivierung (Impedanzverhalten, Amplitudenfrequenzgang, Klirrverhalten – nur erste und zweite Oberwelle! – und Richtcharakteristik) keine hinreichende Auskunft geben über Klangqualität oder Klangcharakter (Sound) eines Wandlers. Beispielsweise wird nur in seltenen Fällen das Einschwingverhalten untersucht; und sollte es einmal geschehen, so kann diese aufschlussreiche Untersuchung durchaus eine Eintagsfliege bleiben.

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Ein Klang (Kurve 5) besteht aus einem Grundton (Kurve 1) und seinen Oberwellen (Kurven 2 bis 4)

Wer Lautsprecher nicht ausschließlich unter physikalisch-technischem Aspekt betrachtet sondern interdisziplinär angeht, dem eröffnet sich das Problem der Klangverfälschung unter mehreren, zum Teil neuen Aspekten. Sie können wertvolle Hinweise geben auf weitere Ursachen der Klangverfälschung, die eventuell bei einer technizistisehen Sichtweise unerkannt bleiben. Unter Umständen können sie verstehen helfen, warum sogar Lautsprecher mit weithin gleichen Daten sehr unterschiedlich „klingen“.

Was ein interdisziplinärer Ansatz bedeuten kann, wird im Folgenden am Beispiel einer Betrachtungsweise erläutert, die nicht ausschließlich technologisch orientiert ist, sondern auch hörphysiologisehe Gesichtspunkte berücksichtigt.

Vielfach wird die These vertreten, bei der Lautsprecherwiedergabe von Musik wirkten sich Oberwellen des Bassbereichs, also ein verklirrter Bass, nicht nachteilig aus, vielmehr führten sie zu einer verstärkten Basswiedergabe. Das ist in der Tat ein bekanntes Phänomen, welches mit dem Residuum-Hören zusammenhängt (siehe unten!). Aber es ist offenbar nur eine, und zwar die gute Seite einer komplexen Angelegenheit.

Noch einmal: Impulstreue

Die Verklirrung des untersten Frequenzbereichs führt nämlich zu einer Veränderung der Impulsstruktur des abgestrahlten Schalls. Ein Impuls lässt sich beschreiben mittels Anzahl, Amplitude und Phasenlage von Schwingungen (ungleicher Frequenz). Genau gesehen kann also von impulstreuer Wiedergabe nicht mehr gesprochen werden, wenn im Bassbereich Oberwellen, also Klirrverzerrungen auftreten, und mag das auch zu einer noch so „angenehmen“ Substanzvergrößerung im Bassbereich führen. Tatsächlich sind die Klirrprodukte, die ein Basschassis bei Anregung in den beiden untersten Oktaven (seines Übertragungsbereichs) erzeugt, mit ein Grund für die unzureichende (impulsmäßige und) dynamische Prägnanz der Wiedergabe solcher „virtueller Bässe“.

Zugleich werden durch die Oberwellen und durch Teilschwingungen (Partialresonanzen) der Bassmembran, wenn das Basschassis bis etwa 800 Hz arbeitet, auch die musikalischen Mitten sozusagen von unten her aufgeschwemmt, verdickt und umwölkt. Die Wiedergabe ist verhangen, verschmiert, zu sonor, wenig transparent, nicht „frei“, Im Prinzip kann dieser Effekt natürlich auch als Impulsverfälschung gedeutet werden. So viel zum physikalisch-technischen Aspekt der beschriebenen Klangverfälschungen.

Das Residuum

Unter hörphysiologischem Aspekt muss das Residuumhören mit berücksichtigt werden. Unter Residuum bezeichnet man den „subjektiven Eindruck eines scharfen“, deutlich und prägnant wahrnehmbaren „Tones, der durch die gemeinsame Wahrnehmung von mehreren ganzzahligen Harmonischen im Ohr in der Höhe der Grundschwingung dieser Harmonischen entsteht, auch wenn die Grundschwingung als objektive Frequenz im Klanggemisch nicht vorhanden ist“. Wird beispielsweise ein Lautsprecher mit dem elektrischen Signal eines bestimmten Klangs gespeist, so kann der Grundton dieses Klangs auch dann empfunden werden, wenn der Lautsprecher ihn überhaupt nicht erzeugt: Im Gegensatz zu reinen Tönen bestehen Klänge (z.B. von Musikinstrumenten) aus einem Grundton und einer bestimmten Anzahl von Oberwellen, die in für diesen Klang(charakter) typischen Amplituden („Stärken“) auftreten. In einem Klang mit dem Grundton von 32 Hz (das könnte ein Orgelbass sein) sind also auch die Frequenzen k2 = 64 Hz, k3 = 96 Hz, k4 = 128 Hz usw. enthalten. Damit die Grundschwingung wahrgenommen werden kann, reicht es aus, wenn der Lautsprecher ab 60 Hz „arbeitet“, sofern er nur hinreichend klirrt, also Oberwellen erzeugt - was er dann auch tut. Dann nämlich kommt ein Residuum-Ton von 32 Hz zustande. Über die Impulstreue der Wiedergabe schweigt sich eine derartige Betrachtung natürlich aus.

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Der Klangcharakter eines Instruments hängt von seinen Formanten, das sind „charakteristische Oberwellen“, ab.

Subjektive Tonhöhenempfindung

„Das Residuum bestimmt ... die Tonhöhenempfindung für Klänge mit Harmonischen“ (das sind die Oberwellen) „ohne Berücksichtigung des Grundtones, wobei ihre Deutlichkeit und Schärfe des Klanges von der Zahl der angebotenen Frequenzen abhängt. Ebenso ist die Wichtigkeit der Phasenlage der Komponenten ... auffallend, da der Residualeindruck mit der Ausprägung der Grundfrequenzrhythmik im Zeitverlauf des Schalls eng gekoppelt ist ... Die Tonhöhenempfindung bleibt unverändert, wenn mehrere niedrige Ordnungen der Harmonischen im Tonkomplex fehlen, aber sie wird immer verwaschener je mehr Komponenten von hohen Frequenzen her weggenommen werden.“ Gerade das geschieht beim Klirren. „Auf der anderen Seite hat die Schärfe der Wahrnehmung auch bei nach oben verschobener Mittenfrequenz eine Grenze, in der sie dann in ein hohes Summen übergehr.“ Die frequenzmäßige Erhöhung oder Erniedrigung der subjektiven Tonempfindung beträgt aber nur „Bruchteile der eingestellten objektiven Größen“. Gerade das ist für die klanglich-ästhetische Wirkung des Effekts bei der Lautsprecherwiedergabe von besonderer Bedeutung.

Bis hierher werden drei wesentliche Phänomene bzw. Auswirkungen des Residuumeffekts deutlich:
  • Es kann zur Wahrnehmung eines nicht vorhandenen Tons kommen.
  • Es kann zur Veränderung des Klangs bzw. der Klangstruktur kommen,
    die objektiv nicht gegeben ist.
  • Es kann zur minimalen Erhöhung oder Erniedrigung von Tonempfindun-
    gen kommen.
Neue Aspekte für technische Fehler ...

Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass der Residuumeffekt gerade nicht die hörphysiologische Einortstheorie (Frequenzanalyse eines Klangs auf der Basiliarmembran) zu bestätigen scheint, sondern die Periodizitätstheorie (Hüllkurvenerkennung bzw. den Zusammenhang des „Schalldrucks und nervöser Aktivität der Nervenfasern über die Zeit als Erkennungsweg“.

Im Hinblick auf den Residuumeffekt können bei der Musikwiedergabe über Lautsprecher einige Gegebenheiten und Zusammenhänge in neuem Licht erscheinen:
  • Gerade die niedrigen Ordnungen der Harmonischen (Oberwellen) sind relativ stark ausgeprägt, während die höheren nur schwach vorhanden sind.*
  • Die Phasenverhältnisse zwischen den jeweiligen Grundtönen und ihren klirrbedingten Oberwellen sind relativ unübersichtlich. Ähnliches gilt auch für Partialresonanzen von Membranen, Membraneinspannungen, Kalotten etc.
  • Der Bereich der Mitten ist vielfach stark von Oberwellen aus dem Bassbereich (Klirr und Partialresonanzen) durchsetzt. Das gilt sowohl für ihre Zahl als auch für ihre Amplitude.
  • Analog dazu ist der Präsenzbereich durch Oberwellen des Mitteltonbereichs „aufgefüllt“.
*Bei Lautsprechermessungen werden vielfach nur die 2. und 3. Oberwelle nachgewiesen. Nicht betrachtet werden hingegen die höheren Harmonischen, obwohl hinreichend bekannt ist, dass sie auftreten, und dass selbst geringste, messtechnisch kaum noch nachweisbare Anteile von ihnen als deutliche Klangverfälschung (Härte, Lästigkeit, „Transistorklang“) empfunden werden.

... und ihre klangliche Auswirkungen

Diese technischen Gegebenheiten und hörphysiologischen Zusammenhänge legen einen weiteren Ansatz zur Erklärung der Klangverfälschung bei Lautsprecherwiedergabe nahe. Sie scheinen auch die Ansicht zu stützen, dass die Phasenverhältnisse eines vom Lautsprecher erzeugten Schalls nicht zweitrangig sind. Gemäß diesem Ansatz lassen sich beispielsweise folgende Phänomene betrachten bzw. zu ergründen versuchen:
  • Die scheinbare Bassfülle auch kleiner Boxen bzw. Kompaktboxen.
  • Die Verdickung, Umwölkung und mangelhafte Prägnanz und Transparenz im Bereich des Basses bis hinauf zu den musikalischen Mitten.
  • Die oft harte, drahtige Wiedergabe insbesondere von Streichinstrumenten, die den Eindruck erweckt, als hätten die Musiker Schwierigkeiten mit der Intonation.
  • Bei klirrarmen und impulstreuen Wandlern (einige elektrostatische Systeme und geregelte Aktivboxen beispielsweise) bleibt das Klanggeschehen auch dann transparent und prägnant, wenn ihr Rundstrahlverhalten „zu wünschen übrig lässt“ oder wenn man sich in ausgesprochen „höhenschwache“ Hörpositionen begibt.
  • Durch Anhebung der Mitten und des Präsenz bereichs lässt sich die (residuumbedingte?) Umwölkung bzw. ungenügende Klarheit der Wiedergabe in gewissen Grenzen (und unter Inkaufnahme anderer Verfälschungen) kompensieren. Senkt man bei solchen Lautsprechern die Höhen (z.B. am Verstärker) ab, so ist die Transparenz verschwunden.
  • Im Bassbereich impulstreue, klirrarme Lautsprecher erzeugen ein (vor allem auch) in den Mitten transparentes, klares und prägnantes Klangbild. Insgesamt gesehen ist es deutlich schlank. Dass die Bässe tatsächlich nicht „unterrepräsentiert“ sind, wird spürbar, wenn sie einmal kräftig „gefordert“ sind, ohne dass gleichzeitig untere Mitten im Gesamtklang dominieren.
Da werden Puristen zu Spinnern

Eine Reihe von Lautsprecherkonstrukteuren hat sich darauf kapriziert, Modelle zu entwickeln, die „bis 20 Hz herunter arbeiten“, und zwar (möglichst) ohne Pegelabfall (gegenüber 1 kHz). Das ist ebenso löblich wie (derzeit noch) unrealistisch.

Löblich, weil der Entwickler offenbar weiß, dass zur Erzeugung eines „originalgetreuen“ Musikerlebnisses die uneingeschränkte Übertragung der Tiefstbässe notwendig ist, da sie in hohem Maße die emotionale Qualität des Musikerlebens bestimmen. Sicherlich wird auch die Werbeabteilung des Herstellers ein solches Vorhaben als lobenswert qualifizieren.

Unrealistisch ist eine solche Zielsetzung insofern, als sich in der Studiotechnik üblicherweise unter 40 Hz „nichts mehr tut“. Unrealistisch aber auch, weil in der Regel der Versuch, die beiden untersten Oktaven (unverklirrt und resonanzfrei) zu wandeln, zu technisch und finanziell derart aufwendigen Ergebnissen führt, dass ein sinnvolles Verhältnis zum klanglichen Ergebnis (und zum Programmangebot) nicht mehr gewährleistet ist. Eine Ausnahme bilden gegebenenfalls geregelte Aktivlautsprecher. Unrealistisch schließlich, weil es physikalisch, technisch und wahrnehmungspsychologisch zweifelhaft erscheint, in „normalen“ Wohnräumen diesen Bereich (mit dem notwendigen Pegel sauber) wiedergeben zu können. In welchem Wohnraum kann sich wohl ein Ton von 40 Hz (mit rund 8 Meter Wellenlänge!) „ungestört“ ausbreiten?

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Beitrag von Aktives Hören »

5 – Es geht nicht ohne Hörvergleiche


Wer HiFi-Geräte, insbesondere Wandler, ausschließlich nach technischen Daten kauft, gleicht einem „Genießer“, der seinen Wein ohne Probieren, also einzig und allein auf Grund von chemischen Analysen auswählt. Die „Erlebnisqualität“ von Wein und HiFi-Anlagen läst sich nicht objektivieren. Sie muss immer mit eigenen Sinnen getestet werden, in Weinproben und in Hörvergleichen.

Hörtests sind sozusagen das Salz in der Suppe des Audiophilen: Sie machen Spaß, sind spannend und sichern letztlich einen zufriedenstellenden Kauf. Glücklicherweise sind sie nicht, wie Weinproben, eine „Spezialität von und für Spezialisten“; mit ein bisschen Aufmerksamkeit und Selbstvertrauen kann jeder Musikfreund und HiFi-Interessent sich auf das Urteil seiner Ohren verlassen. Allerdings können auch bei Hörvergleichen Fehler gemacht werden, von Testprofis ebenso wie von Fachhändlern und Kaufanwärtern.

Ehe detailliert technische und methodische Fragen zur konkreten Gestaltung von Hörvergleichen erörtert werden, wollen die folgenden Darlegungen Selbstvertrauen und Vorfreude aufbauen helfen. Dabei lernen Sie zugleich Möglichkeiten, Grenzen und „neuralgische“ Punkte dieser wichtigen Alternative zum Messen kennen.


5.1 – Warum sind Hörvergleiche notwendig?


Der Hörvergleich, ein auditives Erlebnis, ist das wichtigste Argument für oder gegen ein Gerät. Beim Hörtest kann man sich davon überzeugen, was ein Gerät in klanglicher Hinsicht zu leisten vermag. Die Ergebnisse von Hörtests lassen sich nicht wegdiskutieren. Einem technischen „zwar“ steht immer ein wahrnehmungspsychologisches „aber“ gegenüber. Und dieses „aber“ zählt letztlich.

Auf ihm beruht wesentlich die Existenzberechtigung der HiFi-Studios. Könnte man auf Hörvergleiche verzichten, so gäbe es keine Studios, und HiFi-Anlagen würden verkauft wie Schraubenzieher oder Blumenvasen: nach rein technischen Notwendigkeiten oder nach dem übergeordneten Kriterium der formgestalterischen Vollendung.

Unser „akustisches Gedächtnis“ ist schwach ausgeprägt

Leider hat der Mensch kein differenziertes akustisches Gedächtnis. Aber er kann klangsinnliche Reize mit musikalischen „Vorstellungen“ verbinden, sozusagen verfälschte oder entstellte Klänge wieder restaurieren. Besäßen wir diese Fähigkeit nicht, so könnten wir bei der Wiedergabe alter Aufnahmen in einem Gekrächze nicht Geigen und in einem Gequäke nicht Caruso wiedererkennen. Auch bei Radios, insbesondere bei Handverzerrern, könnten wir nicht Geigen von Trompeten, Celli von Bässen, Bässe von Pauken oder Trommeln unterscheiden. Dennoch hören wir diese Instrumente. Sie sind zwar nicht exakt wiedergegeben, aber unser „Hörcomputer“ frischt sie sozusagen aus den akustischen Spuren, die ihm zugeführt werden, wieder auf. Auf Dauer wirkt diese Restauration jedoch ermüdend, lästig. Der Hörer wird unzufrieden und schaltet ab.

So vorteilhaft die Fähigkeit des „Hinzudenkens“, des „Wieder-Zurechtdenkens“ ist, so nachteilig wirkt sie sich im Zusammenhang mit dem schwach entwickelten akustischen Gedächtnis aus: Der objektiv verfälschte, durch den Hörsinn subjektiv wiederhergestellte Klang ist eine Barriere für das Erkennen von klanglichen Unterschieden. Wenn zwischen dem (ersten) Höreindruck des Lautsprechers (A) und dem (zweiten) Höreindruck des Lautsprechers (B) eine Pause auftritt, wird es oft schwierig, im Nachhinein darzulegen, worin die klanglichen Unterschiede der beiden Lautsprecher liegen. Beide Lautsprecher scheinen im Wesentlichen gleich zu klingen, zumindest gleich „gut“.

Umschalten ohne Pause: A/B-Vergleich

Wir können ohne direkten Hörvergleich (A/B-Vergleich, Vergleich durch pausenfreies Umschalten) nicht die tatsächliche Qualität bzw. Qualitätsunterschiede von Anlagen feststellen; ohne direkten Hörvergleich fehlt uns infolge des Restaurationsvermögens des Hörsinns der Maßstab für die tatsächliche Qualität eines Geräts, und ohne direkte Hörvergleiche fehlt uns infolge des schwach ausgeprägten akustischen Gedächtnisses die Möglichkeit, klangliche Unterschiede zu erkennen. Liegen (zu lange) Pausen zwischen den Höreindrücken, so wird unser Urteil über die Qualität eines Geräts unsicher. Es besteht die Gefahr einer Fehlentscheidung. Erschwerend kommt hinzu, dass unser akustisches Unterscheidungsvermögen umso schwächer ist, je höher die klangliche Qualität der getesteten Geräte ist, und je geringer die klanglichen bzw. qualitativen Unterschiede zwischen ihnen sind.

All dies führt jedoch nicht dazu, dass wir später mit der getroffenen Wahl auch dann zufrieden sind, wenn wir von zwei Lautsprechern den schlechteren vorgezogen haben. Vielmehr lernen wir nach und nach die Schwächen unseres Lautsprechers kennen, etwa wenn wir bei Freunden oder in Studios andere, bessere Lautsprecher hören. Es ist eine bekannte Erscheinung des HiFi-Markts, dass ernsthafte Musikfreunde im Lauf der Zeit anspruchsvoller werden und nach und nach ihre Anlage qualitativ aufrüsten. Kenner der Szene sprechen in diesem Zusammenhang vom HiFi-Bazillus.

Insgesamt gesehen sind A/B-Hörvergleiche umso wichtiger, je geringer die (musikalische) Aussagefähigkeit von Daten und technischen Prinzipien ist: Bei der Lautsprecherwahl sind sie deshalb unabdingbar.

Je höher die angestrebte Qualität, desto wichtiger sind A/B-Vergleiche

Das gilt zumal für Modelle der oberen Qualitätsklasse. In der unteren Qualitätsklasse sind demgegenüber Hörvergleiche von geringerer Bedeutung, weil alle Modelle erhebliche Fehler produzieren und lauthals an der Musik vorbei tönen. Hier kann man auswählen nach im Wesentlichen sekundären Kriterien, wie äußere Form, Art des Gehäuses und des Lochblechs, Drehbarkeit des Firmenschilds und Länge des mitgelieferten Anschlusskabels. Zwar unterscheiden sich Lautsprecher dieses Qualitätsniveaus deutlich hinsichtlich ihres Klangcharakters (hell – dunkel; präsent – entfernt usw.), aber Klangdefinition und Transparenz lassen in der Regel zu wünschen übrig. Solche Boxen können sehr schön klingen, aber nicht sehr gut.

In der enorm typenreichen Mittelklasse ist die Pegel- und Programmunabhängigkeit der Lautsprecher ein besonderes Problem. Hier sind A/B-Hörvergleiche wichtig und schwierig, weil jedes Modell „irgendwo“ einen Vorteil präsentiert, insgesamt aber nicht überzeugen oder befriedigen kann. In der breiten Mittelklasse, die etwa 80 Prozent der HiFi-Lautsprecher ausmacht, geht es beim Testen zumeist darum, aus einer Vielzahl von Kompromissen denjenigen herauszufinden, der den eigenen Vorstellungen am meisten entspricht.

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Beitrag von Aktives Hören »

5.2 – Wer kann testen?


Mancher glaubt, mangels musikalischer oder technischer Vorbildung nicht hinreichend zu Hörvergleichen qualifiziert zu sein. Die wenigsten Autofahrer sind Auto-Experten. Die meisten Konzertbesucher haben nicht Musik studiert, sondern sind „einfach“ Musikfreunde. Dennoch trauen sich die einen ein Urteil über den Wagen zu, mit dem sie eine Probefahrt unternommen haben; dennoch scheuen sich die anderen nicht, als musikalisch „Ungebildete“ frei zu bekennen, wie ihnen die Aufführung zugesagt hat.

Testen lässt sich lernen

Je mehr und je länger jemand Auto fährt, desto sicherer, erfahrungsgesicherter, wird sein Urteil über einen Wagen. Je mehr jemand am Musikleben teilnimmt, desto kritischer, selbstbewusster und sachlicher werden seine Urteile. Beide haben Erfahrungen gesammelt. Sie haben gelernt. Auch Testen lässt sich lernen; nicht theoretisch, sondern durch Hören und Testen.

Junge Menschen hören zwar viel ...

Junge Menschen, die noch den ganzen Frequenzbereich von 20 bis 20000 Hz registrieren, scheinen besonders zum Testen geeignet zu sein. Doch hier trügt der Schein etwas: Da bei Kindern die Klangvorstellung der Instrumente meist noch nicht ausgeprägt oder mitunter schon total verfälscht ist, erscheint ihr Urteil zu wenig an der akustischen „Wirklichkeit“ orientiert. Ihre Urteile können deshalb nur begrenzte Aussagefähigkeit haben. Je lebendiger der Kontakt zwischen jungem Mensch und Musik (nicht in konservierter Form!) ist, desto valider sind seine Qualitätsurteile.

Alte hören anders

Anders ist es bei alten Menschen. Sie hören beispielsweise nur noch bis 12000 Hz. Außerdem „schielen“ die meisten Hörorgane: rechtes und linkes Ohr sind unterschiedlich empfindlich, entweder im ganzen Frequenzbereich oder partiell. Deshalb können alte Leute kein zuverlässiges Urteil über die Klangqualität einer Anlage abgeben. Irrtum!

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Mit zunehmendem Alter nimmt die Hörempfindlichkeit zumal für hohe Frequenzen ab – nicht aber die Sensibiltät und Urteilsfähigkeit des musikerfahrenen Hörers

Auch wer nur bis 10000 Hz hört, kann feststellen, ob die Musikwiedergabe im Obertonbereich beschnitten ist: Angenommen, in einem Klang kommen die Frequenzen 10000 Hz und 14000 Hz vor. Der „alte“ Tester kann die 14000 Hz als isolierten Ton nicht mehr hören. Aber den Differenzton von (14000–10000) 4000 Hz kann er noch wahrnehmen. Und wenn der fehlt, etwa weil der Lautsprecher 14000 Hz nicht mehr überträgt, dann stimmt der Klang nicht, er ist verfälscht. Das hört der „Alte“ sehr wohl. Die modeme Hörphysiologie bietet eine weitere Erklärung für dieses Phänomen an: Zur Identifikation eines akustischen Signals (Klangs) wird beim Hörvorgang nicht dessen Frequenzspektrum analysiert, sondern die Hüllkurve abgetastet.

Gewöhnung an Hörfehler

Zudem: Da (altersbedingte) Hörfehler sich häufig langsam einschleichen, ohne dass der Patient es bemerkt, ist ihm weder beim originalen Musikerlebnis noch beim Erlebnis „aus Zweiter Hand“ bewusst, dass er „falsch“ hört. Wenn das eine wie das andere klingt, ist's für ihn richtig, ist die Reproduktion tatsächlich fehlerfrei. Jeder kann in seinem Bekanntenkreis Musikliebhaber finden, die einen leichten Hörfehler eingestehen und dennoch erfahrungsgemäß gute Tester sind. Die Welt der Musik kennt viele hervorragende Künstler und Interpreten, deren Gehör nachgelassen hat, die aber trotzdem subtile klangliehe Nuancen ihrem Instrument oder Orchester entlocken können.

Auditive Sensibilität ist wichtiger als „Bildung“

Tatsächlich sind lebendige Teilhabe am Musikleben und auditive Sensibilität wichtigere Voraussetzungen für Hörvergleiche als ein hohes Maß an Sachkenntnis oder ein intellektualisiertes Verhältnis zur Musik. Wer sowohl über die eine wie über die andere Voraussetzung verfügt, ist natürlich in einer besonders günstigen Ausgangsposition.

Die Frage, ob das Medium „HiFi-Stereophonie“ (oder weiche Abart oder Weiterenrwicklung auch immer) "den Konzertsaal ins Wohnzimmer verlegen“, also gleichsam Konzertatmosphäre im Wohnraum schaffen soll, oder ob es – im Sinne eines eigenständigen Mediums – die „Partitur durchleuchten“, also eine neue, spezifische Art des Musikerlebens vermitteln soll, ist zwar wichtig; und sicherlich wird sie subjektiv unterschiedlich beantwortet, auch in Abhängigkeit von der jeweiligen Stimmung des Musikliebhabers. Aber im Zusammenhang mit der Beurteilung von Lautsprechern spielt sie eine untergeordnete Rolle: Zum einen wird jeder den Lautsprecher vorziehen, der seinen Vorstellungen und Erwartungen am meisten entspricht, auch wenn das der Intention von Interpreten und Tonmeistern widersprechen sollte. Zum anderen ist mit ein wichtiges Kriterium, dass Geigen weitestgehend wie Geigen klingen, dass die Identifikation akustischer Geschehnisse möglichst exakt gelingt. Aber gerade das kann subjektiv sehr unterschiedlich sein: Toningenieure und Tonmeister zum Beispiel haben gelernt, analytisch und kritisch zu hören. Aber sie hören in der Regel „anders als andere“. Ihre klanglichen Erwartungen und Zielvorstellungen sind durch die täglichen Hörbedingungen und -erfordernisse des Aufnahmestudios bzw. durch die akustischen Qualitäten und Verhältnisse von Abhörmonitor und Abhörraum geprägt. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sie oft Boxen bevorzugen, die „normalen“ Hörern nicht unbedingt imponieren.

Sind Berufsmusiker „geborene“ Tester?

Wenn die Teilnahme am Musikleben als wichtige Voraussetzung für ein unverbildetes Hören erachtet wird, dann scheinen Berufsmusiker die „geborenen“ Tester zu sein. Doch der Schein kann trügen; denn auch Berufsmusiker hören Musik anders als „Zuhörer“. Zunächst befinden sie sich beim Musizieren im Klanggeschehen, während die Zuhörer in einem gewissen Abstand vor ihm sitzen. Die Zuhörer erhalten somit ein Klangbild, in dem die Akustik des Konzertsaales „enthalten“ ist. Zudem hört der Musiker sein Instrument nicht so wie der Zuhörer: Beispielsweise empfindet der Geiger die Resonanz seines Instruments anders und stärker als der Zuhörer, dem der Körperkontakt zum Instrument fehlt. Der Oboist hat den Klang seines Instruments buchstäblich im Kopf, was für den Konzertbesucher nicht gerade zutrifft.

Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn Berufsmusiker bisweilen bei Lautsprechertests zu anderen Ergebnissen kommen als testerfahrene Musikfreunde, die ggf. ein Instrument spielen, aber überwiegend doch passiv an der Musik teilhaben. Dennoch ist es zweckmäßig, zu Lautsprechertests Berufsmusiker heranzuziehen, etwa weil sie diesen oder jenen Klangkörper oder Solisten bzw. dessen Instrument genau kennen oder weil sie letztlich „mehr hören“, mehr darüber aussagen können, ob ein Lautsprecher „nur“ gut klingt oder ob er sogar Musik reproduziert. Aber man sollte vorsichtig sein, wenn Geiger über die Wiedergabe der Geigen, Oboisten über die Klangdefinition einer Oboe oder Hornisten über die Neutralität der Hornwiedergabe sprechen.

Techniker als Tester

Hören Techniker anders als Musiker? Sind sie besser oder schlechter für Boxentests geeignet? Auch Techniker besitzen die Qualifikation zum Testen (nur dann), wenn ihr Gehör (noch) nicht verbildet ist. Ihre Kompetenz zu Lautsprechertests ergibt sich nicht aus ihrem technischen Sachverstand, sondern aus der Fähigkeit, ein (technisches) Produkt unter klangästhetischem Aspekt kritisch zu würdigen. Allerdings wird der geschulte Techniker eher die physikalisch-technischen Ursachen für bestimmte klangliche Erscheinungen ermessen können als der Laie. Andererseits werden ihm, sofern er nicht ein gewachsenes Verhältnis zur Musik hat, klangliche Feinheiten entgehen, auf die der musikalisch Geschulte sofort anspricht. So wie der Musiker durch die Erfahrungen, die er in Lautsprechertests sammelt, im Lauf der Zeit nicht nur Gespür, sondern auch Verständnis für technische „Hintergründe“ entwickelt, so wächst ein Techniker im Erfahrungshorizont von Lautsprechertests in die Welt der Musik hinein. Und wenn der Weg zur lebendigen Begegnung mit der Musik gefunden ist, reift auch seine Sensibilität für die eigentlichen, „musikalischen“ Qualitäten von Lautsprechern.

Es ist erstaunlich, dass mitunter „der Mann von der Straße“, der weder (durch akustische Henkelware: Kofferradios) verbildet, noch (infolge fehlender Teilnahme am Musikleben) besonders sensibilisiert erscheint, spontan und sicher den besseren von zwei Lautsprechern herausfindet. Dabei kann ihm die Begründung und Formulierung seiner Wahl oft sehr schwerfallen. Aber das ist von untergeordneter Bedeutung; denn er will mittels seiner Anlage Musik erleben, nicht aber Ausdrucks- und Stilübungen fabrizieren.

Der Hörbildungs-Notstand

Es darf aber auch nicht übersehen werden, dass bei sehr vielen (jungen) Menschen ein Hör-Bildungsnotstand besteht: Die Gefahr, dass das Gehör des Menschen verbildet ist, erscheint heute größer als zu früheren Zeiten; denn eine Vielzahl von Gegebenheiten führt zu schlechten oder unkritischen Hörgewohnheiten: Die akustische Reizüberflutung der Umwelt, das Gekrächze des Kofferradios, die bumsigen Bässe des Musikschranks, das Mitteltongeplärr des Fernsehapparats, die gehörschädigende Lautstärke und der Sound in der Diskothek, der Music-Box genannte Klirrgenerator im Wirtshaus um die Ecke: Wie soll man in einer akustisch verschmutzten Umwelt nicht die Fähigkeit verlieren, zwischen „natürlichem“ und verfälschendem Lautsprecherklang zu unterscheiden!

Wenn man weiß, wie U-Musik produziert wird, stellt sich die Frage, ob Lautsprecher ohne Sound, ohne Klangverfälschung, überhaupt angestrebt werden sollen, will man bevorzugt U-Musik hören. Denn wie soll man noch einer Box natürlichen Klang bescheinigen, wenn bei der Musikproduktion eine Vielzahl elektronischer Geräte benutzt wird zu dem Zweck, einen bestimmten Sound zu erzeugen. Wer Musik nur aus der Reproduktion kennt, sollte sich einmal der „Mühe“ unterziehen, und ein Konzert oder eine Oper – eine Operette tut's auch – besuchen, um wenigstens einmal zu erleben, wie Musik klingt. Er möge aber Musik genießen und die guten Stunden nicht so vertun, wie jener Lautsprecherhersteller, der einmal voller Stolz erzählte, er gehe von Zeit zu Zeit ins Konzert, um sich Notizen darüber zu machen, wie die verschiedenen Instrumente klingen: die Geigen hoch und samtweich, und die Kontrabässe sehr tief und etwas rau (!).

Hören lässt sich lernen

Was und wie man hört, ist das Ergebnis eines (lebenslangen) Lernprozesses. Mithin lässt sich die zum Testen notwendige auditive Sensibilität auch lernen, und zwar durch Testen. Die Wahl eines Lautsprechers ist ein relativ langwieriger Prozess, während dem viele Hörproben stattfinden. Und jeder suchend Hörende bzw. hörend Suchende erfährt „am eigenen Ohr“, wie seine Fähigkeit, Unterschiede zu hören, verfeinert und seine Urteilssicherheit gesteigert werden. Je mehr Zeit man sich für die Suche nach dem Lautsprecher lässt, desto größer wird die Chance, auf der Grundlage von immer kritischeren Hörvergleichen eine gute Wahl zu treffen.

Aufgaben des Fachhändlers

Es wächst der Mensch an der Aufgabe, der er sich widmet. Was mit der auditiven Sensibilität auch wächst, ist das Selbstbewusstsein, die Annahme der eigenen Subjektivität als mitbestimmendes Entscheidungsmoment. In diesem Prozess hat der HiFi-Fachberater bedeutsame Aufgaben zu erfüllen. Zunächst muss er dem Kunden die Unsicherheit nehmen, denn sie ist eine Vertrauensbarriere. Das kann sicherlich nicht dadurch geschehen, dass der „kompetente“ Händler dem kaufinteressierten „Laien“ bestimmte Modelle anpreist, etwa mittels technischer Argumentation oder gar durch den Hinweis, dass man „als Fachmann da aber ganz anderer Meinung ist“, Vielmehr geht es darum, sozusagen durch auditive „Beobachtungshinweise“ die Aufmerksamkeit des Testunerfahrenen auf bestimmte Qualitätsmerkmale zu lenken, aber behutsam!

Im gleichen Maß, in dem im Verlauf der Testsitzungen das Hör- und Unterscheidungsvermögen und damit auch der Qualitätsanspruch des Kunden steigt, muss dann die Hilfestellung des Beraters zurücktreten. Stattdessen sollten mehr bestätigende Hinweise die Selbstsicherheit des Hörers wecken und verstärken. Der Kunde soll das Gefühl bekommen, dass die Wahl des Lautsprechers letztlich seine freie subjektive Entscheidung ist.

Nur ein selbstsicherer Kunde ist ein zufriedener Kunde, der seinen HiFi-Händler „wieder beehren“ wird, wenn er qualitativ aufrüsten will. Verkürzt ausgedrückt: nicht überreden soll der Fachhändler, sondern dem Kunden dazu verhelfen, dass er sich von der Qualität eines Produkts – durch gezielte Hörvergleiche – überzeugen kann.

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5.3 – Gibt es objektive Hörvergleiche?


Technische Daten können zwar in hohem Maße objektiv sein, doch mangelt es ihnen an Aussagefähigkeit. Musikalisch valider sind zwar Hörvergleiche, aber sind ihre Ergebnisse auch hinreichend frei von situativen und subjektiven Einflüssen?

Woher rühren unterschiedliche Testergebnisse?

Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland eine Institution, die regelmäßig HiFi-Geräte, insbesondere Lautsprecher, testet. Die Testergebnisse werden nicht veröffentlicht. Diese Institution nennen wir (N). Eine andere Institution, (V) genannt, testet ebenfalls regelmäßig, veröffentlicht aber ihre Ergebnisse. Die Testergebnisse der beiden Institutionen sind selten deckungsgleich. Es kann vorkommen, dass die Favoriten der Institution (N) bei (V) unter „ferner liefen“ rangieren und umgekehrt. In schöner Regelmäßigkeit taucht bei (V) eine Box auf, die hier sozusagen maßstabsetzende Qualität besitzt, während sie bei (N) nicht so hoch angesehen ist.

Woher rühren solche Unterschiede in den Testergebnissen? Es darf vorausgesetzt werden, dass beide Institutionen sich um Objektivität bemühen und mit technisch und musikalisch qualifizierten Juroren arbeiten, die überdies eine langjährige Testerfahrung aufweisen können. Allerdings unterscheiden sich Bedingungen und Verfahren der Hörvergleiche beider Institutionen in einigen Details:

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Hier wird beispielhaft deutlich, dass unterschiedliche Testmethoden zu unterschiedlichen Testergebnissen führen. Damit ist grundsätzlich nichts ausgesagt über die Qualität eines Tests. Aber eine Konsequenz kann gezogen werden: Testergebnisse sind nur sehr bedingt vergleichbar, wenn sie durch unterschiedliche Testmethoden zustandegekommen sind.

Durch entsprechende organisatorisch-technische Vorkehrungen lassen sich zwar in etwa gleiche, reproduzierbare Testbedingungen schaffen, was der Objektivität eines Tests zuträglich ist. Aber das Problem der sogenannten Umweltvalidität (hier: dass unterschiedliche Testmethoden zu unterschiedlichen Testergebnissen führen und unterschiedliche „Klanggestalten“ favorisieren) ist, leider, auch und zumal bei Hörvergleichen nicht aus der Welt zu schaffen.

Das Testergebnis hängt vom Testverfahren ab

Sicherlich muss, wer Testergebnisse veröffentlicht, im Interesse der Objektivität subjektive Fehler nach Möglichkeit ausschalten, u. a. auch durch präzise Beschreibung der Testmerkmale und durch faktorenanalytische Auswertung der Testdaten. Aber welchen Wert hat letztlich eine (heute noch) als wissenschaftlich erachtete Datenauswertung, wenn bei ihrer Erhebung, also bei den Hörvergleichen, (musikalische) Reliabilität und Validität ins Hintertreffen geraten? Etwa weil ausschließlich komplexe klangsinnliche Reize, wie „voluminös“, „verfärbt“ oder „hell, als Testmerkmale vorgegeben sind, während musikalische Kriterien weitgehend unberücksichtigt bleiben; oder weil eine Gesamtschau des Lautsprechers erst gar nicht angestrebt wird (solche Tests gibt es in der Tat!); oder weil, z.B. beim Umschalten, wichtige wahrnehmungspsychologische Gegebenheiten missachtet werden.

Dass bei späteren Kontrolltests die im eigentlichen Test erzielten Ergebnisse reproduziert werden, bestätigt zwar die Objektivität der Testmethode, keineswegs aber ihre Validität.

Wer hingegen als HiFi-Interessent in Studio und Wohnzimmer „seinen“ Lautsprecher aus der Fülle des Angebots herauszutesten hat, ist in einer wesentlich günstigeren Situation als „offizielle“ Tester. Er kann sich überwiegend um hohe Praxisnähe und Validität kümmern. Das Problem der Umweltvalidität stellt sich ihm in gemilderter Schärfe (im Wohnraum fast überhaupt nicht). Für ihn und die meist doch sehr kleine Mithörer-Gruppe können solche Tests hinreichend objektiv sein, wenn nur die entsprechenden Voraussetzungen und Bedingungen für möglichst fehlerlose Tests gegeben sind. Er kann und muss sogar Langzeittests durchführen, die für offizielle Testinstitutionen mit kaum zu überwindenden organisatorischen Schwierigkeiten verbunden sind.

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5.4 – Testmerkmale beschreiben


Die am Test beteiligten Personen müssen genau wissen, worum es bei den einzelnen Hörvergleichen geht. Hierzu sind klangliche Merkmale zu beschreiben. Das kann geschehen zum Beispiel anhand musikalischer Kriterien oder anhand komplexer Eindrücke. Eine solche Operationalisierung ist umso genauer, das heißt, die Objektivität wird um so größer, je weniger subjektive Vorstellungen eingebracht werden können, je geringer der Interpretationsspielraum für die Merkmale ist. Das ist grundsätzlich von Bedeutung, aber beim Testen mit testungewohnten Personen um so wichtiger.

Musikalische Kriterien

Bei der Operationalisierung von Testmerkmalen wird das Gesamtmerkmal „Klangqualität“ aufgeschlüsselt in möglichst viele und vor allem möglichst eindeutige Merkmale. Eindeutig bedeutet, dass unterschiedliche Personen unter ein und demselben Begriff (Wort; Merkmal) auch möglichst ein und dasselbe verstehen.

Vergleicht man mittels musikalischer Kriterien, so wird vor jedem Test exakt angesagt, worauf zu achten, was zu vergleichen ist. Am einfachsten kleidet man das in Frageform, z.B.:
  • Wird die Instrumentierung der Einleitung von „Also sprach Zarathustra“ (von R. Strauss) erkennbar, oder reproduziett die Box lediglich ein zwar starkes, aber undifferenziertes Gebrumm?
  • Erweckt die Streicherwiedergabe den Eindruck, als spielten ca. 10 Musiker so laut wie etwa 30, oder als spielten 30 Musiker (chorische Auffächerung)?
  • Wird bei einem plötzlichen fortissimo-Einsatz des gesamten Orchesters eine Instrumentengruppe oder der Solist zugedeckt, etwa durch Pauke und Becken, oder bleibt der Solist deutlich erkennbar „vor“ dem Orchester, das Orchester seinerseits aber exakt durchhörbar?
  • Sind Bassetthorn und Kontrafagott exakt auseinanderzuhalten?
  • Sind bei Violinduos oder Sopranduetten die verschiedenen Instrumente bzw. Stimmen in ihrem individuellen Klangcharakter deutlich voneinander abgehoben, oder singt eine Person „zweistimmig“, werden die „Konturen“ verwischt?
  • Ist die menschliche Stimme (Sprecher) unnatürlich aufgeschwemmt, verdickt, eingedunkelt, oder steht sie frei und schlank im Wiedergaberaum?
  • Klingen „s“, „sch“ oder „z“ verspuckt, zischelnd, also „verlängern, oder natürlich kurz?
  • Sind „n“ und „m“ sowie „ng“ unnatürlich verlängert und „basslastig“ oder kurz und schlank?
  • Sind bei Stereowiedergabe bestimmte Instrumente besser, andere schlechter ortbar? Verändern bestimmte Instrumente in Abhängigkeit von Lautstärke oder Tonhöhe ihre Position? Bleiben die Instrumente, insbesondere ein Soloinstrument, auch dann noch exakt lokalisierbar, wenn andere Instrumente hinzukommen?
  • Wird die Klavierwiedergabe in den mittleren Lagen „größer“, „dicker“, „verschwommener“ und in den höchsten Lagen „weicher“ in dem Augenblick, da Akkorde in den unteren Oktaven hinzukommen, oder bleibt der lagenspezifische Charakter des Instruments im großen und ganzen erhalten?
  • Ist Cellowiedergabe umwölkt, künstlich verdickt und vergrößert?
  • Werden die klanglichen Charakteristika unterschiedlicher Instrumente exakt und deutlich reproduziert, oder werden sie auf einen boxenspezfischen Charakter hin nivelliert?
Wenn Klangqualität so aufgeschlüsselt wird, muss man natürlich darauf achten, dass entsprechende Aufnahmen eingespielt werden. Selbstverständlich können diese Kriterien nicht erfasst werden, wenn man alle drei Sekunden umschaltet. Auch die gezielte Untersuchung der dynamischen Differenzierungsfähigkeit eines Lautsprechers macht Hörzeiten von mindestens einer halben Minute unumgänglich. Natürlich haben diese Hörvergleiche kompartivischen Charakter. Es kann also immer nur festgestellt werden, welcher der getesteten Lautsprecher die beschriebenen Eigenschaften in höherem Maße als ein anderer hat. Absolute Aussagen sind bei Hörvergleichen nicht möglich. Absolute Aussagen sind bei Messdaten möglich, aber Messdaten sind in musikalisch-klanglicher Hinsicht nicht hinreichend aussagefähig.

Komplexe Klangeindrücke als Kriterien

Legt man bei Hörvergleichen nicht musikalische Kriterien, sondern komplexe klangliche Eindrücke der Operationalisierung zugrunde, so lauten die in Fragen gekleideten Testmerkmale etwa so:
  • Welche Box hat die schwächeren (stärkeren, härteren, deutlicheren) Höhen?
  • Welche Box hat die dünneren (dumpferen, saubereren, undurchsichtigeren, kräftigeren) Bässe?
  • Welche Box ist dunkler, welche heller?
  • Welche Box reproduziert das schlankere, welche das saftigere Klangbild?
  • Welche Box ist durchsichtiger, welche undurchsichtiger?
  • Welche Box ist „natürlicher“, welche verfärbter, welche enger, spitzer, sonorer etc.?
Es leuchtet ein, dass die Operationalisierung nach klanglichen Eindrücken etwas grober und subjektiv weiter auslegbar ist als die nach musikalischen Kriterien. Außerdem hängt die eigentliche Testmethode, also das Vorgehen während des Testens, sehr von der Wahl der Testmerkmale bzw. von ihrer Operationalisierung ab.

Welche Kriterien für welche Tests?

Wenn bei verschiedenen Hörvergleichen unterschiedliche Kriterien angelegt werden, sind die Testergebnisse nicht unbedingt vergleichbar, also nur bedingt objektiv. Welches Verfahren der Operationalisierung das bessere ist, darüber streiten die Testgelehrten. In der Regel werden wohl beide Verfahren praktiziert, wenn auch mit jeweils unterschiedlicher Gewichtung. In welchen Fällen wohl stärker – nicht ausschließlich! – nach musikalischen, und in welchen stärker nach klanglichen Eindrücken operationalisiert werden kann, geht aus folgenden Beispielen hervor:

Bild

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5.5 – Testfehler vermeiden


Bei der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von Hörvergleichen können viele Fehler gemacht werden. Grundsätzlich kann man unterscheiden zwischen
  • systematischen,
  • technischen,
  • methodischen und
  • subjektiven Fehlern.
Sie sind nur theoretisch auseinanderzuhalten. In der Praxis können sie sich gegenseitig bedingen und verstärken, und die Grenzen zwischen ihnen sind fließend. Wer um sie und ihre Auswirkungen weiß, wird sie eher vermeiden können.

Systematische Fehler

Unter systematischen Testfehlern sind solche zu verstehen, die in der Konzeption des Tests gründen, die durch die (systematische) Anlage und den empirischen Aufbau des Tests bedingt sind. In der Regel wirken sie sich unabhängig von den anderen Fehlerarten aus, auch können sie kaum durch methodische Vorkehrungen verringert oder gar ausgemerzt werden.

Systematische Fehler können sich durch äußere Umstände und Notwendigkeiten einschleichen, etwa durch die Größe des Testfeldes: Je größer die Zahl der Boxen und je weniger unterschiedlich die Klanggestalt der einzelnen Boxen, desto mühsamer, strapaziöser und langwieriger wird der Test. Ein Optimum stellen drei Boxen dar, ein Maximum fünf.

Bei großen Testfeldern können Dominanzeffekte auftreten, wenn der überwiegende Teil des Testfeldes zu einer Klangfamilie gehört. In solchen Fällen besteht die Gefahr, dass die stark repräsentierte Klangfamilie „Normal-Charakter“ erhält. Dann werden eventuell die wenigen anders klingenden Boxen unbewusst an der Klanggestalt der zahlenmäßig überwiegenden gemessen. Das kann zu einer unberechtigten Aufwertung jener Boxen führen.

In gewisser Weise ist es auch systematisch falsch, zumindest aber problematisch, in ein und demselben Testdurchgang hell getönte mit dunkel timbrierten Boxen zu vergleichen. In solchen Fällen ist es ratsam, zunächst je einen Favoriten aus den beiden Feldern zu küren und die beiden Favoriten dann in Langzeittests (einige Abende lang) miteinander zu vergleichen.

Treten beim Umschalten von einem zum anderen Lautsprecher hörbare Lautstärkesprünge auf, so ist das auch ein systematischer Fehler. In der Tat begegnet man ihm in fast allen Studios. Nur in gediegenen HiFi-Studios kann man jenen apparativen Aufwand erwarten, der zur Lösung des „Lautstärkenunterschied-Problems“ benötigt wird.

Technische Fehler

Technische Fehler werden vorwiegend durch Geräte oder deren Zusammenschaltung verursacht. Verwendet man zum Beispiel nicht hinreichend stabile Endverstärker, so wirkt sich das auf die Klangqualität von elektrostatischen Lautsprechern verherend aus. Technische Fehler können sich auch durch das Testmaterial einschleichen

Methodische Fehler

Von methodischen Fehlern sprechen wir, wenn die mangelhafte Reliabilität und Validität von Tests überwiegend durch die Art des Vorgehens beim Hörvergleich bedingt sind. Beispielsweise ist es ein methodischer Fehler, wenn in einem Hörvergleich unterschiedliche Lautsprecher verschieden lange gehört werden, oder wenn die Umschaltzeitpunkte ungünstig gewählt sind.

Ein zumindest teilweise methodisches Problem beinhaltet die Frage, ob man sogenannte klassische, E-Musik, oder sogenannte Unterhaltungsmusik, U-Musik, zum Testen verwenden soll. Sie kann einfach aber unpräzise so beantwortet werden: Man teste mit dem Material, durch das die jeweils zu untersuchende Eigenschaft genau geprüft werden kann.

U-Musik als Testmaterial

Für Pop und Underground spricht ein meist gegenüber der E-Musik ausgeweitetes Frequenzband. Außerdem gibt es beispielsweise Beat-Platten, die Spitzenschnellen (in etwa: „Aussteuerung“) besitzen, die bei sogenannter klassischer Musik kaum aufgezeichnet werden. Solche Aufnahmen eignen sich zum Testen des Impulsverhaltens.

Leider ist jedoch U-Musik in der Regel elektronisch bearbeitet. Das bedeutet immer eine Verfälschung, eine Verfärbung des Originalklangs der Instrumente. Dabei ist es fraglich, ob gewisse U-Musik überhaupt noch „natürlich“ klingen kann oder soll. Das Problem der „Natürlichkeit“ steht hier in einer neuen Dimension an. Deshalb gelingt es kaum, mit solchem Testmaterial die Exaktheit der Klangdefinition einer Box zu testen. Soundmakers wie Last (mitunter Karajan) und ähnliche Musikindustrielle sind in jedem Falle ungeeignetes Testmaterial, es sei denn, man beabsichtigt, nur derartige Musik zu hören.

Vorteile der E-Musik

E-Musik ist im Allgemeinen besser zum Lautsprecher-Testen geeignet. Die Gründe dafür sind:
  • in der Regel nicht so stark elektronisch verfälschte Aufnahmen,
  • in der Regel größerer Dynamik-Umfang,
  • feinere dynamische Nuancierungen,
  • relativ eindeutig festgelegte Klangcharaktere der menschlichen Stimme, Soloinstrumente und der verschiedenen Klangkörper.
Eigenartigerweise kann man immer wieder feststellen, dass E-Musik auch von jüngeren Personen bevorzugt wird, die eigentlich – von der Hörgewohnheit und der musikalischen Konditionierung her – U-Musik bevorzugen. Auch sie bestätigen, dass man bei E-Musik „mehr heraushört“. Während des Testablaufs kann eine Fülle weiterer methodischer Fehler auftreten. Einige für Praktiker besonders wichtige werden in anderem Zusammenhang ausführlicher erörtert.

Subjektive Fehler

Von subjektiven Fehlern sprechen wir, wenn die das Testergebnis beeinflussenden Faktoren überwiegend in der Person des Testers liegen. Wie schwierig es ist, solche Fehler zu vermeiden, zeigen folgende Beispiele:

Je stärker das Testmaterial Emotionen auszulösen vermag, je mehr also der Hörer von der Musik „mitgerissen“ wird, desto geringer kann der Aussagewert seines Urteils sein: Es leuchtet ein, dass in einem Testmaterial, beispielsweise einer Bach-Kantate, Phrasen vorkommen können, die einen Tester begeistern, sei es durch das Werk selbst oder durch die Interpretation. In diesem Falle wird unter Umständen diejenige Box als besser empfunden, über die gerade diese Passage wiedergegeben wird.

Die „richtige“ Musik

Das bedeutet keinesfalls, dass zum Testen Musik verwendet werden soll, die dem Hörer „nicht liegt“, weil ein „negativer Affektbesatz“ jene Ruhe, Muße und innere Gelöstheit verhindert, die wichtige Voraussetzungen zum Testen sind. Außerdem zeigt die Erfahrung, dass die meisten Menschen Klangunterschiede und -qualitäten nicht erfassen, wenn ihnen die Musik „nicht liegt“, Welcher nicht speziell vorgebildete oder erfahrene Mitteleuropäer würde wohl zum Test indische oder japanische Musik einspielen! (Ich hatte einmal einen Gast, der einer Box bestätigte, dass sie „elektronische Musik sehr naturgetreu wiedergibt“!)

Die richtige Stimmung

Selbst die Stimmung des Testers ist zu berücksichtigen. Deshalb sind seelische Ausgeglichenheit, Muße und eine innere Einstellung auf die Musik wichtige personale Testbedingungen. Das Gewirr an Lautsprechern, Kabeln, die herumliegenden Schallplatten und der öftere abrupte Programmwechsel garantieren, dass der Tester sich nicht im bloßen Musikgenuss „verliert“. Wer, gleich aus welchen Gründen, beispielsweise lieber mit geringen Lautstärken hört als mit hohen, wird bei lauten Testdurchgängen affektiv aufgeladen, was sein Urteil beeinflussen kann. Bevorzugt ein Tester relativ hohe Lautstärken, so kann ggf. seine Urteilsfähigkeit im leisen Durchgang getrübt sein. Da die Fähigkeit zum kritisch-hingebungsvollen Musikhören in hohem Maße auch von äußeren Bedingungen, wie Atmosphäre und Behaglichkeit des Testraums, abhängt, ist auch diesen Faktoren Aufmerksamkeit zu schenken. Nicht ohne Grund sind anspruchsvolle Studios dadurch charakterisiert, dass sie dem Kunden zwar nicht die höchsten Rabatte, aber Wohnraumatmosphäre (nicht Konzertsaalatmosphäre!) und vor allem viel Zeit zum Hören bieten.

In der Tat sollten Hörvergleiche unterlassen werden, wenn man in Zeitnot oder in irgendeiner Weise gestresst ist. Diese Regel gilt gleichermaßen für den Kunden wie für den Fachberater, der sie allerdings aus verständlichen Gründen nicht immer leichten Herzens (und guten ökonomischen Gewissens) beachten kann.

Eine letzte Erfahrung in diesem Zusammenhang: Während man in der unteren, mittleren und gehobenen Qualitätsklasse durch ein sorgfältiges Arrangement aller Testfaktoren schwerwiegende Testfehler weithin vermeiden kann, steigt die Zahl der möglichen Fehlerquellen beim Hörvergleich in der obersten Qualitätsregion. Zumindest auf diesem Niveau können Qualitätsbeurteilungen nicht mehr verallgemeinert werden. Hier ist jeder auf seine eigenen Vorstellungen angewiesen; selbst hier gibt's nichts Absolutes, auf jeden Fall keine fehlerlosen Hörvergleiche.

Teufelskreise

Ein HiFi-Studio, in dem Straßenlärm oder die Klimaanlage deutlich zu vernehmen sind, bedingt schon nach kurzer Testzeit subjektive Fehler durch Ermüdung, Gereiztheit und Stress der Testpersonen. Diese subjektiven Fehler werden oft noch verstärkt: Um den Außenlärm zu verdecken, werden unnatürlich hohe Lautstärken gefahren. An diesem Beispiel wird deutlich, dass sich Testfehler gegenseitig bedingen können.

Die Vernetzung der Fehler nimmt in der Regel mit steigender Klangqualität und abnehmender Unterschiedlichkeit des Klangcharakters der Testobjekte zu. Abschließend dazu ein recht komplexes Beispiel, das übrigens mehr für den Fachhändler als für den Kaufinteressenten beschrieben wird:

Bild

Um systematische, methodische und subjektive Fehler auszuschließen, müssen beide Paare mit gleicher Lautstärke gehört werden. Um gleiche Lautstärke zu erhalten, können unter Anderem folgende Wege beschritten werden:

(1) Einpegelung mittels Musikprogramm und Gehör
(2) Einpegelung mittels rosa Rauschen und Pegelmesser.

Gleiche Lautstärke durch Hörprobe

(1) Wird die Gleichheit der Lautstärke subjektiv mittels Musikprogramm eingestellt, so kann sich bereits dabei ein erster Fehler einschleichen. „Musik wird störend oft empfunden, dieweil sie mit Geräusch verbunden.“ Was als Geräusch empfunden wird, ist subjektiv unterschiedlich. Als „geräuschvoller“ empfinden wir in der Regel Musik, die wir nicht schätzen oder gar ablehnen. Verwendet man beispielsweise bei einem Liebhaber der Barockmusik zum Einpegeln der Lautstärke eine James-Last-Aufnahme (womit nichts gegen die Barock-Musik gesagt sein soll), so empfindet der Bach-Liebhaber (im Mittel) diese Musik als geräuschvoller, subjektiv lauter als eine (im Mittel) objektiv gleichlaute Bachkantate.

Pegeln wir also die Lautsprecher nach der Lautheitsempfindung ein, so wird die Box, die Last genauer reproduziert, im Pegel zurückgenommen. Testen wir nach dieser Einpegelung, so ist diese Box – es soll beispielsweise Box (A) sein – gegenüber Box (B) zu leise. Dieser Pegelunterschied kommt zur Auswirkung, wenn wir (nach dem Einpegeln) mit Barock-Musik weitertesten: Lautsprecher (A) ist zu leise eingestellt und wird als schlechter empfunden als Lautsprecher (B).

Gleiche Lautstärke durch Einmessen

(2) Nehmen wir an, die beiden Lautsprecher seien messtechnisch auf gleiche Pegel eingestellt worden. Dabei soll als unerheblich angesehen werden, nach welcher DIN-Norm der Pegel eingemessen wurde. (In der Tat kommt man zu unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem, welches (genormte) Filter beim Messvorgang benutzt wird. Techniker streiten sich immer und wohl noch lange darüber, welche Messnorm die „bessere“ – für ihre Lautsprecher oder für den Hörer? – sei.)

Bei messtechnisch eingepegelter, also objektiv gleicher Lautstärke kann gegebenenfalls der Barock-Liebhaber Box (A) beim Testen mit einer Last-Aufnahme als weniger gut empfinden. Sie hat die geringeren Chancen, obwohl sie eventuell, mit einer Bach-Kantate getestet, deutlich besser gefallen würde. In diesem Fall ist die Fehlentscheidung auf einen subjektiven Fehler, auf das Missverhältnis zwischen Musik und Musikhörer zurückzuführen. Er wurde verursacht durch einen teils systematischen, teils methodischen, nämlich durch die Wahl des falschen, dem Hörer „nicht liegenden“ Musikprogramms. (Eigentlich sind die Dinge noch etwas komplizierter, aber in diesem Zusammenhang reicht es, wenn wir sie so vereinfacht darstellen.)

Zu diesem Geflecht von Fehlern kann noch ein technischer hinzukommen: Da beide Lautsprecher unterschiedliche Wirkungsgrade haben, benötigen sie zur Erzeugung gleicher Lautstärken unterschiedlich hohe Verstärkerausgangsleistungen. In unserem Beispiel braucht Box (A) doppelt so viel Leistung wie Box (B), um so laut wie diese zu „spielen“. Um dieses Problem zu lösen, bieten sich mehrere Möglichkeiten an. Folgende sind falsch bzw. unzweckmäßig:

Probleme mit der (Verstärker-)Technik

(1) Box (A) wird über den Receiver (I), Box (B) über den Receiver (II) betrieben. Beide Receiver haben in ihrem Verstärkerteil insgesamt gesehen gleiche technische Daten. Allerdings hat Receiver (II) die kürzeren Einschwingzeiten, was durchaus in Hörvergleichen bewiesen werden kann. Er hat also den schnelleren, den besseren Verstärker. Folglich ist die an ihn angeschlossene Box (B) bevorzugt.

(2) Als Verstärker werden zwei absolut gleiche Modelle verwendet. Über ein Widerstandsnetzwerk, wie es in vielen Umschaltpulten vorkommt, werden die beiden Lautsprecher eingepegelt. Wenn das Widerstandsnetzwerk in den Lautsprecherleitungen liegt, also zwischen Verstärkerausgang und Lautsprecher, so verändert es nachhaltig das Impulsverhalten des Verstärkers bzw. des jeweiligen Lautsprechers. In unserem Beispiel wäre wahrscheinlich Box (A) die Benachteiligte.

(3) Bei einigen Umschaltpulten ist das Widerstandsnetzwerk so geschaltet, dass es über die Monitor-Buchse des Verstärkers zwischen Steuer- und Endverstärker eingeschleift werden kann. Benutzt man ein derartiges Umschaltpult, so wird zwar auch das Impulsverhalten der Geräte beeinträchtigt, aber nicht in dem Ausmaß wie im Falle (2). Andere Umschaltpulte haben zur Einpegelung der Endstufen Verstärkerzüge eingebaut. Das ist zwar die eleganteste Lösung, aber die Erfahrung zeigt, dass die in den Pulten eingebauten Verstärker im Allgemeinen so schlecht sind, dass man mit solchen Einrichtungen keine hochwertigen Lautsprecher testen kann, weil das Signal durch den Pultverstärker verschlechtert wird.

Handelt es sich bei den Testboxen (A) und (B) um sehr hochwertige bzw. klanglich sehr ähnliche Modelle, so ist die Verwendung zweier identischer Verstärker (Endstufen) geboten. Sie werden von zwei identischen Vorverstärkern gesteuert, mittels deren Lautstärkeeinsteller die Boxen auf gleiche Pegel gebracht werden können. Ein dritter, zentraler Vorverstärker steuert diese beiden Vorverstärker. An ihm wird die jeweilige Testlautstärke eingestellt. Selbstverständlich muss die Gleichheit der Lautstärke (beider Testboxen) mittels Rauschsignal und Pegelmesser gesichert werden.

Service oder Rabatte?

Ein Studio, das sehr hochwertige Komponenten anbietet, kommt gegebenenfalls um diesen (sehr teuren!) apparativen Aufwand nicht umhin, es sei denn, der Techniker des Hauses ist in der Lage, hochwertige Anpassverstärker zu bauen, die zwischen die (eine) Endstufe und den (einen) Vorverstärker geschaltet werden. Dann wird, relaisgesteuert, jeder Box ein Anpassverstärker zugeordnet. Wie auch immer die Testanlage (für hochwertige) Lautsprecher ausfallen wird, die damit verbundenen Kosten schlagen sich notwendigerweise in einem verminderten Rabatt nieder. Service (auch bei der Beratung) kostet Geld.

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5.6 – Wie verlässlich sind Testergebnisse?


Fehlerfreies Testen wird mit steigendem Anspruchsniveau immer schwieriger. Testergebnisse, zumindest von guten Lautsprechern, haben immer eine subjektive Komponente, auch wenn andere Fehler im Wesentlichen vermieden werden konnten.

Testveröffentlichungen

Damit der Leser von Testberichten hinlänglich relativieren bzw. den Wert eines Hörvergleichs abschätzen kann, beschreiben seriöse Zeitschriften ihre Testbedingungen, -verfahren und -umstände differenziert, z.B.:
  • Art und akustische Verhältnisse des Testraums bzw. der Testräume,
  • verwendete Programmquellen, Verstärker, Kabel und Umschaltpulte,
  • verwendete Programme,
  • Abhörlautstärke,
  • Zusammensetzung der „Jury“.
Die Bedeutung von Testveröffentlichungen ist in anderem Zusammenhang bereits angesprochen worden.

Eine andere und höhere Bedeutung haben Hörvergleiche im HifiStudio: Geht es beim Studium von Testberichten vor allem um eine erste Sondierung des Markts, so sollen Tests beim Fachhändler die Spreu vom Weizen trennen helfen und zwei oder drei Boxenpaare in die engere Wahl bringen. Aus diesen schließlich den endgültigen Favoriten zu küren, ist dann Aufgabe des Hörtests im eigenen Wohnraum.

Hörvergleiche als Entscheidungshilfe beim Kauf

Bei solchen Vergleichen nimmt im Allgemeinen ein „spezieller“ kleiner Hörerkreis teil, so dass Subjektivismen nicht einmal nachteilig zu sein brauchen. Unter dem Gesichtspunkt von individueller Kaufberatung und Kaufentscheidung können sie sogar positiv bewertet werden.

Insgesamt gesehen muss auch das Ergebnis eines solchen Tests relativiert werden. Es könnte etwa folgendermaßen lauten:
  • sowie unter Berücksichtigung von Testprogramm,
  • Testmethode,
  • technischen,
  • situativen und
  • personalen Testbedingungen
  • entspricht der gewählte Lautsprecher
  • von allen getesteten Modellen
  • in meinem Wohnraum
  • und in der dort möglichen Aufstellung
  • bei der bevorzugten Musik
  • und üblichen Wiedergabelautstärke
  • im Zusammenwirken mit den anderen Anlagenkomponenten
  • am ehesten
  • meinen klanglichen Vorstellungen
  • und meiner Auffassung vom Medium.
Ist das nicht genug?

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6 – Der Teufel steckt im Detail


Grundsätzliche Überlegungen sind sicher wichtig, aber bekanntlich hat die Praxis ihre eigenen Tücken. Auch in einem übergreifenden Konzept können niemals alle Elemente eines „praktischen“ Problems (alle problematischen Elemente der Praxis) hinreichend erfasst oder erkennbar gemacht werden.


6.1 – Modell eines Lautsprechertests


Die bisherigen, mehr prinzipiellen Erörterungen münden in ein „konkretes“ Testmodell ein. Es ist zwar praktisch erprobt und meines Erachtens bewährt (jede Mutter lobt die eigene Butterl), es wird auch in seiner Grundstruktur immer wieder praktiziert, aber es sollte nicht als Rezept, als Testvorschrift verstanden werden. Es kann keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben und ist auch nicht, wie man so schön vermessen zu sagen pflegt, wissenschaftlich exakt (gesichert). Es ist mehr an den Belangen des qualifizierten Fachhändlers und des anspruchsvollen HiFi-Anwärters ausgerichtet als an den Erfordernissen „professioneller“ Tester, die sehr viel testen und ihre Testergebnisse veröffentlichen müssen.

Wozu ein Modell?

Es will dem Praktiker Orientierungshilfen geben, ihn auf Schwierigkeiten, Fallstricke aufmerksam machen; es dient als Beispiel für die Erörterung zahlreicher praktischer Details. Sie treten grundsätzlich bei jedweder
Testmethode auf; hier sind sie auf ein bestimmtes Modell bezogen. Zunächst wird der Test als Ablaufschema dargestellt und erläutert. Die verwendeten Begriffe (als Denkinstrumente) sind in einem Glossar erklärt. Hierauf folgt die Diskussion praktischer Details und Probleme, wie sie bei allen Hörvergleichen auftreten. Das Wissen um diese praktischen „Tücken des Objekts“ kann auch auf Hörtests anderer Geräte übertragen werden. Insofern hat das Modell (notwendigerweise) exemplarischen Charakter.

Bild

Die diskutierte Testmethode, das „Schema“, ist für Händler und HiFi-Enthusiasten bedeutungsvoller als für den musikliebenden „Normalverbraucher“. Aber die Diskussion der einzelnen Punkte kann alle vor Fehlern bewahren, die im HiFi-Studio oder im Wohnzimmer „einfache“ Hörvergleiche durchführen. Wer einen guten und preiswerten Lautsprecher sucht, braucht nicht so akribisch und systematisch vorzugehen wie der Anwärter einer „Superanlage“, aber er sollte um die grundsätzlichen Probleme wissen, mit denen er auch bei einfachen Tests konfrontiert wird.

Erläuterungen zum Modell*

*Die mit (->) gekennzeichneten Begriffe sind im Glossar erklärt.

Der Test besteht aus einer 1. und einer 2. (->) Testphase. In der Regel wird die erste Testphase als (->) Kurzzeittest, die zweite als (->) Langzeittest (auch im Wohnraum) gestaltet.

Die erste Testphase besteht aus zwei (->) Testabschnitten, die zweite aus einem.

Zwischen die beiden Testphasen kann eine (->) Zwischenphase eingeschoben werden, die dazu dient, das (->) Testfeld für die zweite Testphase auf zwei Boxenpaare zu beschränken. Innerhalb jeder Testphase und jedes Testabschnitts kann in zwei (->) Testdurchgängen, in einem lauten und einem leisen Durchgang, getestet werden.

Im ersten Testabschnitt der ersten Testphase sollten (->) Rahmen und (->) Detailsequenzen (->) ungelenkt und (->) geheim getestet werden, damit eine erste Orientierung stattfinden kann (->) (Orientierungstest).

Der zweite Testabschnitt der ersten Testphase dient der Prüfung der Boxen anhand detaillierter Beurteilungskategorien. Jetzt erscheint es sinnvoll, (->) gelenkt und (->) kommunizierend zu testen. Es werden (->) Rahmensequenzen, (->) Detailsequenzen und (->) Detailpaarsequenzen gefahren (->) (partiell-analytischer Test).

Die (->) Zwischenphase kann aus (->) Kurzzeittests bestehen, die gelenkt und (->) kommunizierend durchgeführt werden. Es geht im Wesentlichen darum, die Qualitäten der verschiedenen Boxen zu „sammeln“ und im (->) k.o.-System zwei oder drei Boxenpaare für die zweite Testphase zu „küren“. Die zweite Testphase soll zur endgültigen Lautsprecherwahl führen. Sie wird gelenkt und kommunizierend durchgeführt. Das Problem der Sequenzierung entfällt, da nur noch zwei Boxenpaare im Spiel sind.

Erklärung der Begriffe

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6.2 – Ausgewählte Testprobleme


Am Beispiel des skizzierten Testmodells werden nun zwölf Probleme erörtert, die bei jedem Hörvergleich erneut und in jeweils spezifischer Ausprägung auftreten können:

(1) Testgruppen und Zwischentests
(2) Gesamteindruck und Detail
(3) lauter und leiser Durchgang
(4) verdecktes (Blindtest) und offenes Testen
(5) geheimes und kommunizierendes Testen
(6) gelenktes und ungelenktes (freies) Testen
(7) Testsequenzen (Umschaltfolgen)
(8) Schaltintervalle
(9) Umschaltzeitpunkt
(10) Programmwechsel
(11) Testdauer und Erholungszeiten
(12) Langzeitests

(1) Testgruppen und Zwischentests

Bei Hörvergleichen im HiFi-Studio sollte auch dann ein Lautsprecher der „Spitzenklasse“ mitlaufen, wenn das angestrebte Qualitäts- und Preisniveau deutlich tiefer angesetzt ist. Dieses Modell hat gewissermaßen die Funktion eines Qualitätsnormals: An seiner Klangqualirät werden die anderen Lautsprecher gemessen. Das ist bei Hörvergleichen von Geräten der Mittelklasse eine recht zuverlässige Orientierungshilfe.

Es erscheint zweckmäßig, dem eigentlichen Test eine Einhörphase vorzuschalten. In ihr sollte durch wahlloses Spielen an der Umschalttastatur eine Art Vororientierung stattfinden. Die Tester sollen einen „akustischen Überblick“ über das Testfeld erhalten.

Da es, zumindest für den unerfahrenen Tester, schwer ist, mehr als drei Lautsprecher in einem Hörvergleich zu beruteilen, sollte das infragekommende Angebot eines Studios notfalls in Dreiergruppen aufgegliedert werden, die man dann nacheinander testet. Eine durchdachte Zusammenstellung der Testgruppen kann die Gesamttestzeit in erträglichem Rahmen halten und zugleich die Gültigkeit der Testergebnisse sichern helfen. Solche Dreiergruppen sollten nach wichtigen praktischen Kriterien zusammengestellt werden, wie sie beispielsweise Aufstellungserfordernisse oder dominierender Klangcharakter darstellen.

Dreiergruppen bilden!

Beispielsweise kann man in Dreiergruppen miteinander vergleichen
  • Standboxen (große Lautsprecher);
  • Regallautsprecher (kleine Lautsprecher);
  • Modelle, die frei im Raum stehen müssen;
  • Modelle, die vor oder an einer Wand oder in einem Regal aufgestellt werden müssen;
  • direkt-strahlende Lautsprecher;
  • Indirektstrahler;
  • hell timbrierte Boxen;
  • dunkel timbrierte Boxen;
  • voluminös klingende Lautsprecher;
  • Lautsprecher mit schlankem Klangbild.
Demgegenüber wäre es verfehlt, Testgruppen ausdrücklich nach technischen Gesichtspunkten, beispielsweise nach technischen Prinzipien oder gar nach technischen Daten zusammenzustellen.

Nicht Technik vergleichen!

Solche expliziten Systemvergleiche haben allenfalls akademischen Charakter; sie sind ggf. für den Entwickler und Forscher (das ist zweierlei!) interessant. Für die Kaufentscheidung spielen technische Verfahren und Daten eine untergeordnete Rolle. Dass es in bestimmten Testphasen, z.B. beim partiell-analytischen Test in kommunizierender Form, dennoch – aber nur implizit – zu Systemvergleichen kommt, ist natürlich nicht auszuschließen.

Im Hinblick auf die Optimierung von Anlagen ist es mitunter zweckmäßig, die Lautsprechertestgruppen nach Preisklassen oder nach dem Preisgefüge der Gesamtanlage zusammenzustellen. Auf jeden Fall sollte dabei eine Aktivboxen- mit einer Passivboxenanlage verglichen.

In den Zwischentests werden die „Favoriten“ der verschiedenen Testgruppen miteinander verglichen. Am Ende der Zwischentests stehen dann zwei oder drei Boxenpaare, die im eigenen Wohnraum dem Langzeittest unterzogen werden.

Wenn nicht mehr als zwei oder drei Gruppentests durchgeführt worden sind, kann gegebenenfalls auf einen Zwischentest verzichtet werden. Statt dessen sind dann die „Gruppensieger“ direkt im Langzeittest miteinander zu vergleichen. Mitunter kann es zweckmäßig sein, etwa wenn die Entscheidung bei einer Gruppe nicht hinreichend eindeutig ausfällt, von der einen Gruppe zwei und von der anderen nur einen Lautsprecher in den Zwischentest oder in den Langzeittest zu nehmen.

(2) Gesamteindruck und Detail

Der erste Testabschnitt der ersten Testphase, der sogenannte Orientierungstest, soll einen Gesamteindruck der Testmodelle vermitteln, der eine näherungsweise Bewertung ermöglicht. Der zweite Testabschnitt der ersten Testphase – der partiell-analytische Test – soll dagegen zu einer differenzierteren Beurteilung verhelfen. Beim Orientierungstest wird vorwiegend nach komplexen klanglichen Kriterien getestet, bei partiell-analytischen dagegen vorwiegend nach musikalischen.

Beide Tests sind zur Untersuchung der Programmabhängigkeit geeignet. Der Orientierungstest deckt eher die jeweilige Eignung für bestimmte Arten von Musik auf, der partiell-analytische dagegen lagen- oder instrumentenspezifische Verfärbungen. Auch das dynamische Verhalten kann mit beiden Verfahren untersucht werden. Geht es um die Dynamik im großen und ganzen, so erscheint ein Orientierungstest geeigneter, während die Fähigkeit, dynamische Nuancen zu übertragen, besser im partiell-analytischen Test erfasst wird. Meist sind beim Orientierungstest die Schaltintervalle (also die Hörzeiten) kürzer als beim partiell-analytischen. Auch muss beim Orientierungstest das Testprogramm (Musikprogramm) nicht so oft gewechselt werden.

Begrenzte Aussagefähigkeit

Hinsichtlich der Aussagefähigkeit haben beide Verfahren ihre Grenzen: Der Orientierungstest ist vergleichsweise grobmaschig. Die Testergebnisse sind nicht auf alle -Anwendungsfälleübertragbar. Der partiell-analytische Test ist hingegen so punktuell, dass in seinem Ergebnis unter Umständen das akustische „Gesamterscheinungsbild“ der Lautsprecher, der Gesamteindruck nicht mehr erfasst ist.

Hieraus folgt: In der unteren und mittleren Qualitätsklasse bzw. bei geringem Anspruchsniveau mag mitunter ein Orientierungstest ausreichen. In der Tat sind die meisten Tests in HiFi-Studios und Testinstitutionen nur Orientierungstests. Je höher aber das angestrebte Qualitätsniveau und je geringer die klanglichen Unterschiede zwischen den Boxen eines Testfeldes sind, desto bedeutungsvoller werden partiell-analytische Tests. Keinesfalls reichen Orientierungstests aus, wenn es darum geht, verlässliche „akustische Daten“ über die Möglichkeiten und Grenzen von Lautsprechern zu gewinnen, wie sie zur Sortierung des Angebots oder zur Beratung benötigt werden. Andererseits können von einem partiell-analytischen Test alleine auch keine ausreichenden Erkenntnisse erwartet werden, und zwar unabhängig vom Qualitätsniveau der Lautsprecher und unabhängig vom Anspruchsniveau der Tester bzw. Kaufinteressenten.

Variationsmöglichkeiten

Aus dieser kurzen Problematisierung wird deutlich, welche Schwierigkeiten beim Testen von Lautsprechern einerseits und bei der Interpretation von Lautsprechertests sowie beim Ziehen praktischer Konsequenzen andererseits auftreten können. Es wird auch deutlich, dass Tests keine Aussagen über die „absolute“ Qualität von Boxen machen können, sondern lediglich als Trends zu werten sind, die nie frei von subjektiven Wertvorstellungen sein können. Je subjektiver die Zielsetzung eines Lautsprechertests ist, desto großzügiger kann deshalb der Testverlauf variiert werden. Dabei darf die Variation so weit gehen, dass die Übergänge zwischen den einzelnen Testphasen fließend werden. Ist aber die Sammlung von möglichst gültigen Aussagen über Lautsprecher das Ziel eines Tests, kommt man um ein differenziertes und systematisiertes Programm nicht umhin. Der Käufer hat es deshalb leichter als der Fachhändler, der ja sehr kritisch testen muss, welche Modelle er anbieten will.

(3) Lauter und leiser Durchgang

Lauter und leiser Durchgang sollen das (meist unterschiedliche) Verhalten eines Lautsprechers bei unterschiedlichen Lautstärken offenbaren. Es gibt nämlich nur wenige Typen, die sowohl bei geringen wie bei hohen Pegeln gleich oder gleich gut „klingen“.

Sind die qualitativen Unterschiede in Abhängigkeit von der Abhörlautstärke groß, dann wird die Entscheidung schwierig. Zweckmäßigerweise frage man sich:
  • Welche Musik höre ich bevorzugt: Kammermusik, Barockmusik, Roman-
    tische Orchesterwerke, U-Musik usw.?
  • In welcher Lautstärke höre ich in den meisten Fällen?
Hiernach kann man in einem drirten Durchgang als Testmaterial die bevorzugte Musik bei „üblicher“ Lautstärke verwenden.

Wen es nicht reizt, die „objektive“ Qualität von Lautsprechern zu ermitteln, kann von vornherein auf einen getrennten lauten und leisen Durchgang verzichten und ausschließlich mit bevorzugten Programmen und üblicher Lautstärke testen. Er sei sich aber bewusst, dass dann sein Urteil über die Box nur für die vorgegebene Lautstärke zutrifft. Wechselt er einmal die Wohnung oder ändern sich seine musikalischen Vorlieben oder Hörgewohnheiten, so wird er gegebenenfalls eine andere, besser geeignete Box suchen müssen. Gut hat es natürlich, wer ohne Rücksicht auf Preis, Abmessungen oder Aussehen einer Box von vornherein ein Spitzenfabrikat heraustesten kann, das den beschriebenen Einschränkungen nicht unterliegt.

Sind Klangkorrekturen zweckmäßig?

Es ist zu beachten, dass hohe und tiefe Töne beim leisen Durchgang weniger „kräftig“ übertragen werden, infolge des natürlichen Empfindlichkeitsabfalls des menschlichen Gehörs.

Bild
Kurven gleicher Lautheit bei verschiedenen Frequenzen in Abhängigkeit von der Lautstärke

Ob man deshalb beim leisen Durchgang eine Klangkorrektur am Verstärker vornehmen soll, ist eine Streitfrage. Entscheidet man sich für eine Klangkorrektur, so muss man dafür sorgen, dass bei allen Boxen exakt die jeweils optimale Korrektur eingestellt ist. Es sei darauf hingewiesen, dass diese Klangkorrekturen auch durch Drücken der Loudness-Taste am Verstärker vorgenommen werden kann. Die Frequenzcharakteristik der Korrekturen ist aber von Verstärker zu Verstärker unterschiedlich, so dass gegebenenfalls bei einem Verstärkerwechsel (gekaufter Verstärker ist nicht immer gleich „Testverstärker“) die Boxen nicht mehr „stimmen“. Die Erfahrung zeigt, dass sehr gute (impulstreue) Lautsprecher Frequenzgangkorrekturen übelnehmen: Sie klingen dann vielleicht etwas „ausgewogener“, zugleich aber auch härter, weniger transparent. Der „musikalische Atem“ ist weg. Eine (dumme) Frage: Auch im Konzertsaal ist's hinten leiser als vorn. Manchmal spielen die Musiker sogar piano: Loudness-Korrektur?

(4) Verdecktes und offenes Testen

Wir sind – unbewusst – beim Testen so vielen Erwartungen, Wunschvorstellungen und Einflüssen unterworfen, dass man sich nur wundern kann, dass überhaupt bei Lautsprechertests gültige Aussagen zustandekommen. Wer ist beispielsweise nicht geneigt, auf die größere und/oder teurere und/oder optisch schönere Box den Wunsch zu projizieren, sie sei die bessere? Und dass dieser Wunsch dann von der Box oft auch erfüllt wird, ist ein bekanntes psychologisches Phänomen.

Am besten ist es deshalb, verdeckt zu testen: die Boxen stehen hinter einem undurchsichtigen, aber schalldurchlässigen Vorhang. Jede hat eine Nummer, und nur diese wird vom Testleiter, der als einziger die Numerierung der Boxen kennt, jeweils beim Umschalten angezeigt. (Dieses Verfahren wird aus verständlichen kaufmännischen Gründen in kaum einem Studio durchgeführt, und in Privatwohnungen übersteigt es zumeist die technischen Möglichkeiten.) Will man mit geschlossenen Augen testen, so muss er die Nummer ansagen. Für welches Verfahren man sich entscheidet, ist auszuhandeln. Beide Verfahren haben Nachteile: Im einen Falle stört der optische Eindruck, im anderen der Zwischenruf des Testleiters.

(5) Geheimes und kommunizierendes Testen

Wenn das zu testende Boxenfeld sinnvoll aufgestellt ist, braucht man heute kaum noch zu befürchten, dass man „sehen“ kann, welche Box gerade eingeschaltet ist. Gute Boxen erzeugen einen so diffusen Klanghorizont, dass sie nicht mehr eindeutig optisch identifizierbar sind.

Wenn es um den partiell-analytischen Test geht, in dem die verschiedenen Kriterien nacheinander zur Beurteilung anstehen, kann es sinnvoll sein, dass die Tester miteinander in einen Meinungsaustausch eintreten. Man wertet also im ersten Testabschnitt zumeist diskussionslos, während man im zweiten miteinander spricht und diskutiert.

Sinn dieser Diskussion ist es nicht, jemanden von der eigenen Meinung zu überzeugen, etwa um zu einem einstimmigen Ergebnis zu gelangen. In diesen Diskussionen soll jeder Tester neue Gesichtspunkte und/oder Kriterien erhalten, die ihm bis dahin noch nicht präsent waren. Der eigene Horizont soll erweitert werden.

Beim kommunizierenden Testen lässt sich allerdings nicht immer die Gefahr einer Beeinflussung, die mehr ist als eine Horizonterweiterung, verhindern. Das Urteil eines Mittesters kann sich besonders stark auf die Urteilsfindung der Tester auswirken, wenn er besonders kompetent erscheint, etwa weil er als HiFi-Spezialist, als Testerfahrener oder als besonders kritischer und erfahrener Musiker angesehen wird. In solchen Fällen kann die tatsächliche oder nur projizierte Fachkompetenz des Mittesters die anderen Tester dazu verleiten, nicht nur seine Betrachtungsweisen, was sinnvoll wäre, sondern auch sein Urteil zu übernehmen.

(6) Gelenktes und ungelenktes Testen

Es ist eine Streitfrage, ob die Tester wissen sollen, wann umgeschaltet wird, oder ob sie vom Umschalten überrascht werden sollen. Die erste Methode nennen wir gelenktes Testen, die zweite heißt ungelenktes Testen. Jede Methode hat Vorzüge und Nachteile.

Bestimmt der Tester den Umschaltzeitpunkt, so kann er sich besser auf bestimmte Kriterien konzentrieren. Es wird ihm also leichterfallen, geringste Unterschiede zu hören. Denn er gibt ja gerade dann das Zeichen zum Umschalten, wenn er sich auf ein ganz bestimmtes Kriterium eingehört hat.

Psychologische Probleme

Diese Methode birgt die Gefahr der Projektion: Man ist bereit, einer Box, die vielleicht bei drei vorangegangenen Kriterien gut abgeschnitten hat, auch bei diesem vierten Kriterium den „Zuschlag zu erteilen“. Psychologen nennen das Halo- oder Hof-Effekt. Vereinfacht ausgedrückt: Bei dieser Methode kann man in diejenige Box die bessere Qualität hineinhören, die bis zu diesem Zeitpunkt besser abgeschnitten hat. Außerdem besteht die Gefahr, dass man sich auf eine bestimmte Box einhört, zum Beispiel auf diejenige, welche länger eingeschaltet ist als andere. Auch in diesem Falle ist die länger gehörte bevorzugt. Eine Grenze hat die Methode des gelenkten Testens natürlich auch, wenn mehrere Personen am Test teilnehmen.

Lässt man den Testleiter frei walten und schalten, so ist es schwieriger, sich auf bestimmte Kriterien zu konzentrieren und die zu vergleichenden Boxen methodisch zu analysieren. Allerdings besteht weniger die Gefahr des Halo-Effekts. Vielmehr besteht jetzt die Gefahr, dass die jeweils neu geschaltete Box – bei geringen Unterschieden zwischen den Boxen – als die schlechtere empfunden wird – auf Grund eines psychologischen Vorganges, den man „bewahrende Gegenidentifikation“ nennt. Der Tester ist also bei einem solchen Test unsicher, was nicht ohne Auswirkung auf seine Urteilsfähigkeit bleibt. Geht es um die Findung eines ersten Gesamturteils, ist dieses Verfahren allerdings vorteilhaft.

(7) Testsequenzen

Ein schwieriges Problem ist die Reihenfolge, in der die Boxen vorgeführt werden. Infolge des Gewöhnungseffekts und der bewahrenden Gegenidentifikation ist diejenige Box bevorzugt, die quantitativ dominiert: Man muss also streng darauf achten, dass alle Boxen im Mittel gleich lange und gleich oft gehört werden. Wer beim Testen diese Regel nicht einhält, manipuliert das Testergebnis.

Es würde zu weit führen, in diesem Rahmen Vorzüge und Nachteile bestimmter Schaltsequenzen (Reihenfolgen, Serien) zu diskutieren. Stattdessen soll beispielhaft nur ein System beschrieben und der Kritik ausgesetzt werden. Es beruht auf der Anwendung unterschiedlicher Testsequenzen. Am Beispiel von drei zu testenden Boxenpaaren sei es erläutert.

Die Boxenpaare seien bezeichnet mit A, B und C. Die Rahmensequenz ist definiert als die Reihenfolge A – B – C und wieder A – B – C, usw.

Die Detailsequenz ist definiert als die Reihenfolge: A-B – A-C – B-C usw.

Die Rahmensequenz ist jeder Detailsequenz vorangestellt und kann gegebenenfalls auch vor der Wiederholung der Detailsequenz noch einmal gefahren werden. Sie hat die Funktion, die Varianz (Qualitätsstreuung) aller Boxen als Qualitätshorizont der Jury vorzustellen.

Die Detailsequenz soll einen intensiven Vergleich der einzelnen Boxen ermöglichen. Dabei ist es mitunter zweckmäßig, die jeweiligen Paarvergleiche der Detailsequenz oft zu wiederholen. Aus der Detailsequenz wird dann eine Detailpaarsequenz.

Im ersten Testabschnitt, dem Orientierungstest, wird im Allgemeinen nach der Rahmensequenz die Detailsequenz gefahren. Diese Folge wird so oft und mit unterschiedlichem Material in den beiden Durchgängen praktiziert, bis die Tester sich zu einem Urteil durchgerungen haben.

Im zweiten Testabschnitt folgt in der Regel auf eine Rahmensequenz eine Detailpaarsequenz, dann wieder die Rahmensequenz, dann wieder eine Detailpaarsequenz, usw.

(8) Schaltintervalle

Strittig ist die Frage nach dem Intervall des Umschaltens, also nach welcher Zeit im ersten und zweiten Testabschnitt umgeschaltet, beziehungsweise wie lange jeweils eine Box gehört wird.

Grundsätzlich sind folgende psychologischen Gegebenheiten zu berücksichtigen: Man kann sich auf eine Box, auf einen ganz bestimmten Klang einhören, an ihn gewöhnen und ihn unbewusst zum Maßstab erheben. Die Box, die man am längsten hört, erlangt diese normative, maßstabsetzende Qualität. Deshalb muss dafür gesorgt werden, dass die Boxen nicht nur gleich lange, sondern auch gleich oft gehört werden.

Die jeweiligen Hörzeiten bzw. die Schaltintervalle sollten im ersten Testabschnitt in der Regel zwischen 20 und 60 Sekunden liegen. Kürzere Hörzeiten sind wahrnehmungspsychologisch dubios; sie geben dem Hörer zu wenig Möglichkeit, sich auf den neuen Klang zu konzentrieren und ihn analytisch zu erfassen. Das gilt vor allem dann, wenn Hörvergleiche sich an musikalischen Kriterien orientieren! Direkt irreführend ist es, eine Box regelmäßig lange, etwa vierzig Sekunden, eingeschaltet zu lassen, die Vergleichsboxen aber ebenso regelmäßig nur kurzzeitig, etwa zehn Sekunden. In diesem Falle wird der Hörer auf die erste, lange gehörte Box „zurückgeworfen“, ehe er mit der zweiten überhaupt „vertraut“ werden kann. So wird methodisch eine Gewöhnung an die erste Box hervorgerufen. Außerdem empfindet man oft, vor allem bei klanglich nahe beieinanderliegenden Boxen, die Box, auf die gerade umgeschaltet wird, als akustisehen Fremdling, als Außenseiter, als schlechter. Dadurch wird die lange gehörte Box auf- und die kurz eingeblendete abgewertet.

Im partiell-analytischen Test lässt sich eine „gerechte Zeitverteilung“ nur dann verwirklichen, wenn viel Zeit zur Verfügung steht und ein und dasselbe Testmaterial auch punktuell – etwa je zwei bis drei Takte lang – in jedem Paarvergleich verwendet wird.

(9) Umschaltzeitpunkt

Will man die Klangcharaktere von Boxen miteinander vergleichen, so erscheint es zweckmäßig, in langen Akkorden umzuschalten, gegebenenfalls mehrmals hin und her (Detailpaarsequenz). Hierzu muss mitunter in sehr hoher Folgefrequenz, also nach sehr kurzen Hörzeiten umgeschaltet werden (keine Regel ohne Ausnahme). Man verwende hierzu unterschiedliches Testmaterial: Solosonaten, Quartette, großorchestrale Musik, Solo- und Chorgesang sowie Orgelwerke.

Umschalten in oder am Ende einer musikalischen Phrase?

Die Meinungen gehen auseinander, ob man ansonsten während oder am Ende einer musikalischen Phrase umschalten soll. Das Umschalten am Ende einer Phrase erscheint dann sinnvoll, wenn sie wiederholt wird. Wird sie nicht wiederholt, ist es besser, während der Phrase umzuschalten, weil sich dann die Unterschiede der Boxen klarer abheben. Die Erlebnisqualität der Musik wird zwar durch dieses unterbrechende Umschalten geschmälert, aber beim Testen geht es ja auch um eine kritische Analyse.

Statt das Ende einer musikalischen Phrase als Umschaltzeitpunkt zu definieren, ist es oft zweckmäßiger, sich auf ganz bestimmte Instrumente, Stimmen oder Register zu konzentrieren: Man hört sich beispielsweise bei Box (A) die Wiedergabe der Streicher in hohen Lagen und hoher Lautstärke an und schaltet so rechtzeitig um, dass auch Box (B) noch hohe Streicher in hoher Lautstärke reproduzieren kann.

Dieses Vorgehen führt zu umso gültigeren Ergebnissen, je besser man das Material kennt, das zu diesen Tests benutzt wird. Ist das Material unbekannt, kann man den günstigsten Umschaltzeitpunkt verpassen. Auf jeden Fall sollte zumindest der Testleiter in den Abschnitten, in denen ungelenkt getestet wird, das Material sehr genau kennen.

Wahlloses Umschalten ist wohl nur dann sinnvoll, wenn der Vergleich sich ausschließlich auf komplexe klangsinnliche Phänomene (dunkel, hell, gepresst, näselnd, hart, weich etc.) bezieht. Werden beim Hörvergleich jedoch musikalische Kriterien angelegt, sollte überlegt und gezielt umgeschaltet werden.

Dynamikverhalten testen

Ein wichtiges Kriterium der übertragungsqualität ist die dynamische Differenzierungsfähigkeit. Hierunter versteht man bekanntlich die Fähigkeit, minimale und maximale Lautstärkeunterschiede sauber zu übertragen, sowohl beim Soloinstrument als auch bei einzelnen Instrumentengruppen und großen Klangkörpern. Sie hängt stark ab von der Impulstreue. Will man feststellen, wie sich eine Box bei großen Dynamiksprüngen – etwa einem subito-Übergang vom ppp zum fff, vom Soloinstrument zum Tutti – verhält, so kommt man nicht umhin, diesen übergang zuerst auf der einen und dann noch einmal auf der anderen Box abzuhören.

Trugschlüsse

Bei diesem Test kann man einem Trugschluss unterliegen: Diejenige Box, die auf einen Dynamiksprung vom ppp zum fff mit der offenbar höheren Lautstärke reagiert, kann die schlechtere sein; denn die scheinbar höhere Lautstärke kann Folge des höheren Klirrfaktors sein, den diese Box produziert. Nicht, dass die Oberwellen, aus denen die Klirranteile bestehen, als höhere Lautstärke hörbar würden; vielmehr steigt der Lautheitseindruck mit zunehmenden Verzerrungen. (Aus diesem Grunde können Koffergeräte „ohrenbetäubende Lautstärken“ erzeugen.) Die bessere Box ist daran zu erkennen, dass sie den Dynamiksprung durchsteht, ohne an Klarheit, Durchsichtigkeit und Klangdefinition zu verlieren, ohne lästig zu werden oder zu schreien; und das ohne Einengung der Dynamik.

Dynamische Differenzierungsfähigkeit untersucht man ebenso erfolgreich mit filigranem Programm, etwa Solosonaten für Streicher. Dabei müssen feine Unterschiede in Bogenführung oder Tonansatz deutlich werden. Bei Sängern achte man darauf, ob ein Lautsprecher in der Lage ist, seine Atem- und Stütznöte zu reproduzieren.

Sehr zweckmässig ist es auch zu analysieren, ob eine Box eine Reihenfolge von Glockenschlägen dynamisch differenziert, oder wie sie in einer Klaviersonate, gespielt auf einem Bösendorfer-Instrument, geringste dynamische Nuancen reproduziert. Auch in pizzicato-Läufen umzuschalten, erweist sich als zweckmäßig. Für diese Tests braucht man Zeit, Muße und höchste Konzentration. Dass man beim Test der dynamischen Differenzierungsfähigkeit nicht alle drei bis fünf Sekunden umschalten kann, sondern Musik hören muss, versteht sich von selbst.

(10) Programmwechsel

Es leuchtet ein, dass innerhalb der einzelnen Testdurchgänge möglichst unterschiedliche Programme (vom Sprecher und Soloinstrument bis zur Oper, von Bach bis Beat) gehört werden müssen. Nur so lässt sich ein hinreichend detaillierter und zugleich umfassender Eindruck über Möglichkeiten und Grenzen eines Lautsprechers gewinnen. In welcher Reihenfolge die verschiedenen Programme eingespielt werden, ist verhältnismäßig unkritisch.

Es hat sich als zweckmäßig erwiesen, den Orientierungstest mit „normalen“, „typischen“ Programmen zu beginnen, die einerseits die Konzentrationsfähigkeit der Hörer noch nicht strapazieren und andererseits hinreichend Aufschluss über das akustische Gesamterscheinungsbild des Testfeldes geben. Symphonien von Beethoven bis Schumann oder Kantaten von Bach bis Mendelssohn-Bartholdy sind zweckmäßige Einhörprogramme. „Besondere“ Aufnahmen, von der Gotik bis zur Aleatorik, von der Solosonate bis zur modernen Oper, sind für partiell-analytische Tests bedeutungsvoll.

Beim Wechsel des Programms ist auch ein Wechsel der Nummerierung der Boxen angezeigt. Dadurch können Gewöhnungs- und Hofeffekte ebenso verringert werden wie Identifikation und Projektion. Allerdings ist dieses Verfahren zeitaufwendig; denn mit jedem Programmwechsel müssen die Testurteile eingesammelt oder diskutiert werden.

Wer auf der Suche nach „seinem“ Lautsprecher von Freund zu Freund und von Studio zu Studio pilgert, sollte im Interesse der Vergleichbarkeit von Testergebnissen dafür sorgen, dass zumindest ein Teil des Testprogramms gleichbleibt. Es lohnt sich also, zu diesem Zweck einige Tonträger zu kaufen.

(11) Testdauer und Erholungszeiten

Es wäre sinnlos (und für den Händler unzumutbar), intensive Tests in einer stundenlangen, pausenlosen Sitzung durchzuführen. Tatsächlich ist die benötigte Testzeit groß, wenn die Boxen
  • qualitativ eng benachbart sind,
  • aus „einem Hause“ kommen und einen „Familiensound“ besitzen und/oder
  • in der obersten Qualitätsklasse angesiedelt sind.
Da bei jeder Arbeit Ermüdungserscheinungen auftreten, müssen auch beim Testen Erholungspausen eingelegt werden, spätestens nach 60 Minuten. Wenn eine Testsitzung länger dauert, lassen Konzentrationsvermögen, Aufnahmefähigkeit, Analysier- und Urteilsvermögen rapide nach. In den Pausen sorge man für frische Luft und für körperliche Bewegung. Wer's ausprobiert, wird feststellen, dass nach einer gut genützten Pause plötzlich Nuancen und Unterschiede hörbar werden, die vorher nicht identifiziert werden konnten.

Wen der Durst plagt: Alkohol und kohlensäurehaltige Getränke sind tabu. Ein angekurbelter Blutkreislauf einerseits, eine verminderte Reaktionsfähigkeit andererseits und ein gefüllter Magen, der das Blut aus dem Gehirn zieht, sind denkbar schlechte Voraussetzungen für kritisches, intensives und analytisches Hören. Zweckmäßiger als Kaffee sind Fruchtsäfte. Übrigens gilt das Enthaltsamkeitsgebot auch für die Zeit während beziehungsweise „kurz“ vor dem Test. Bei vielen Menschen wirken sich auch stark gewürzte Speisen nachteilig auf die Fähigkeit zum analytischen Hören aus.

(12) Langzeittests

Anspruchsvolle Hörer und Anwärter auf sehr hochwertige (und ggf. recht teure) Anlagen können sich im HiFi-Studio oft nicht zu einer Kaufentscheidung durchringen. Eventuell trifft man beim Fachhändler nur eine engere Auswahl von zwei oder drei Lautsprechern. Diese werden dann im eigenen Wohnraum (natürlich als Stereo-Paar), also unter normalen Hörbedingungen, getestet, und zwar einige Tage, zumindest ein Wochenende lang.

In solchen Langzeittests geht es darum, sozusagen auf Probe mit den Boxen zu leben. Erst wenn man längere Zeit ein Alternativpaar gehört hat, kann man sich ein Urteil darüber erlauben, welches Modell weniger
lästig oder aufdringlich wirkt. In der Tat sind Lästigkeit und Aufdringlichkeit, Aggressivität und Penetranz in „normalen“ Testsitzungen kaum hinlänglich, geschweige denn sicher zu entdecken. Das dokumentiert sich auch darin, dass oft Bluffer aus kurzen „Anhörungen“ im Studio, aber auch aus „offiziellen“ Tests als „Sieger“ hervorgehen, während wirklich gute Lautsprecher unter „ferner liefen“ rangieren können. Deshalb erscheint es sinnvoll, in den Langzeittest zu Hause auch ein Modell einzubeziehen, das im Studio weniger ohren(ge)fällig erschien.

Wichtig bei schwierigen Entscheidungen

Langzeittests sind umso bedeutsamer, je höher das angestrebte Qualitätsniveau ist und je geringer die klanglichen Unterschiede zwischen Lautsprechern (und anderen Geräten natürlich auch) zu sein scheinen. Sie sind auch dann wichtig, wenn im Studio-Test zwei Modelle miteinander konkurrieren, von denen jedes deutliche Vorzüge, aber auch unüberhörbare Nachteile hat. Beispielsweise kann ein Lautsprecher Aufmerksamkeit erregen aufgrund seiner ungewöhnlich guten Klangdefinition und Transparenz, während er hinsichtlich Räumlichkeit und Lebendigkeit von einem anderen Modell überrundet wird, das jedoch weniger sauber und analytisch zeichnet. In solchen Fällen ist letztlich nur in Langzeittests festzustellen, welche „Richtung“ man bevorzugt, bzw. bei welchem Modell die Vorzüge überwiegen.

Bei Langzeittests wird deutlich, dass das Ergebnis von Hörvergleichen immer auch in gewissem Maße vom ver wendeten Testmaterial (Musikprogramm) abhängt. Immerhin werden auf höchstem Qualitätsniveau klangliche Unterschiede verschiedener Aufnahmen deutlich hörbar.

Kluge Programmgestaltung

Es ist also ratsam, bei Langzeittests möglichst viele und unterschiedliche Einspielungen zu verwenden. Das kommt der Validität des Tests zugute. Die Bezeichnung „Langzeittest“ deutet also an, dass sich die Hörvergleiche alleine schon wegen des umfangreichen Testmaterials über eine möglichst lange Zeit erstrecken. Da jedoch Langzeittests wegen der begrenzten Leihzeit immer -viel zu früh- beendet werden müssen, wähle man nach Möglichkeit Musikprogramme, die zum einen den eigenen musikalischen Vorlieben entsprechen und zum anderen hinsichtlich ihres „Informationsinhalts“ recht umfassend sind.

In diesem Zusammenhang ein Tipp: Die Kulanz eines Fachhändlers lässt sich oft steigern, wenn man ihm zumindest die billigste Box aus dem Langzeit-Testfeld direkt bezahlt. Erfahrene Händler wissen, dass sie meistens nach dem Langzeittest noch eine Nach(an)zahlung erhalten, weil der gute Lautsprecher sich schließlich doch durchsetzt – im Langzeittest!

Sehr lange Schaltintervalle

Was einen Langzeittest wesentlich vom „normalen“ Hörvergleich unterscheidet und ihn im eigentlichen Sinne des Wortes zum Langzeittest macht, ist die geänderte Hörzeit, das erheblich verlängerte Schaltintervall: Hier wird nicht alle zwanzig bis sechzig Sekunden umgeschaltet, geschweige denn im drei-Sekunden-Takt, sondern analytisch, kritisch, aber zugleich auch „hingebungsvoll“ und ausdauernd Musik gehört. Umgeschaltet wird erst nach einigen Minuten. Es ist also zweckmäßig, einen Satz einer Symphonie – einen Chorsatz, eine Arie oder eine ganze Szene – zunächst ganz über die eine Box, dann ganz über die andere und ggf. noch einmal ganz über die erste zu hören.

Nur unter diesen Bedingungen kann man sich hinlänglich auf die Musik bzw. auf musikalisch bedeutsame Kriterien der Klangqualität konzentrieren, sich in eine Klanggestalt hineinhören bzw., wenn man so will, hineinfühlen. Das ist wichtig, aber auch recht anstrengend; auf jeden Fall macht es viel Spaß – dem ernsthaften und anspruchsvollen HiFi-Freund.

Nur so wird man Kriterien überprüfen können, wie dynamische Differenzierung, Klangfarbenreichtum, Lebendigkeit und „Atem“, Wie kann man bei wahllosem, zufälligem Umschalten im drei- oder fünf-Sekunden-Takt ermitteln, welcher Lautsprecher sauberer (impulstreuer) das Ansprechen eines Instruments, das Anschwingen eines Tons (Klangs) überträgt? Gerade von solchen, bei aufmerksamem und ganzheitlichem Musikhören wahrnehmbaren Momenten hängt es erfahrungsgemäß in hohem Maße ab, ob die Musik (aus der Anlage) steril, ermüdend und auf (Hör-)Dauer langweilig und lästig wirkt, oder ob sie „lebt“.

Es geht um die Musik

Vorteilhaft wirkt sich bei Langzeittests auch aus, dass eine wesentliche Voraussetzung für aufmerksames Hören und musikalische Erlebnisfähigkeit zu Hause eher gegeben ist als im HiFi-Studio – von „offiziellen und firmenneutralen“ Tests ganz zu schweigen, bei denen überdies die Anwesenheit von Herstellern oder Importeuren oft das soziale Klima prägt. Wer mit Musik testet, sollte Zeit haben und in einer ausgeglichenen Stimmung sein, die ihn für Musikerlebnisse ebenso wie für kritisch-analytisches, konzentriertes Hören erschließt. Da besonders der ernsthafte Musikfreund oft in solcher Verfassung seine HiFi-Anlage nutzt, entspricht der Langzeittest in höherem Maße der normalen Hörsituation. Die Umweltvalidität wird verringert, die Gültigkeit des Testergebnisses ist größer.

Es gibt übrigens eine Testinstitution, die auch bei jenen Lautsprechertests, die in einer Händlerzeitschrift veröffentlicht werden, mindestens die „Spitzenreiter“ des Feldes nach dem offiziellen Kurzzeittest (Umschaltintervalle: 20 bis 60 Sekunden) einem Langzeittest unterzieht. Die Lautsprecher „wandern“ einige Wochen lang von Tester zu Tester. Die dabei gewonnenen Erfahrungen und Urteile fließen in den Testbericht ein.

Notwendige und unnötige Beschränkungen

Es leuchtet ein, dass Institutionen, die sehr viele Geräte testen müssen, allein schon aus zeitlichen Gründen nicht derart ausgiebig testen und entsprechend differenzierte und in musikalischer Hinsicht konkrete Aussagen machen können – einmal abgesehen davon, dass sie eventuell glauben, mit Ultra-Kurzzeittests (sehr guten) Lautsprechern gerecht werden zu können, oder auf die Erfassung eines Gesamteindrucks der Test-Lautsprecher verzichten zu müssen. Es ist deshalb ein Lichtblick, wenn in einer HiFi-Zeitschrift (sporadisch!) im Zusammenhang mit sehr hochwertigen Komponenten ausgiebig und erkennbar nach musikalischen Kriterien getestet wird.

Oft wird behauptet, bei Verstärkern und Tunern der „Spitzenklasse“ könnten keine klanglichen Unterschiede festgestellt werden. Dass hier die Unterschiede geringer als bei Wandlern sind, leuchtet angesichts des Qualitätsstandards der Konsumelektronik ein. Sie jedoch in Abrede zu stellen, geht an der Wirklichkeit vorbei. Vielleicht benutzen die Tester zum Verstärker-Vergleich als Lautsprecher „Testsieger“ aus Kurzzeittests. Höchstwahrscheinlich gönnen sie sich nicht das qualvolle Vergnügen (die vergnügliche Qual?) eines Langzeittests.

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6.3 – Einfach Testen


Bei „einfachen“ Tests genügen oft schon mehrere Durchgänge im Orientierungstest (HiFi-Studio) und im Langzeittest (Wohnraum). Auch können Orientierungstests und partiell-analytische Tests ohne klare gegenseitige Abgrenzung, sozusagen durcheinander, praktiziert werden. Dabei sind jedoch andere Probleme, wie Schaltintervalle und mittlere Lautstärke eines Durchgangs, nicht bedeutungslos.

Abschließend sei eine einfache, aber erfahrungsgemäß recht brauchbare Testmethode vorgestellt. Sie wird in einigen hochkarätigen HiFi-Studios – und auch bei manchen Herstellern – praktiziert. Wir nennen sie Individualtest.

Der Individualtest

Das Wesen des Individualtests besteht darin, dass nur eine Person testet, ohne zu wissen, welche Boxen im Rennen sind: Der Tester wird „blind“ in den Raum und an ein Umschaltpult geführt. Er weiß weder, um welche Boxentypen es sich bei dem Test handelt, noch wie sie aussehen, was sie (im Rahmen seines Budgets natürlich) genau kosten und wo sie stehen. Er wird also nur Tastpositionen mit Klängen identifizieren können. Testmaterial wird ihm nach Wunsch vom Testleiter eingespielt. Der Tester selbst braucht nichts zu tun als konzentriert hinzuhören und nach eigenem Belieben und Gutdünken die Umschalttastatur zu bedienen.

Die Vorteile dieser Testmethode liegen auf der Hand:
  • Es entfallen alle Abstimmungsprobleme zwischen Testleiter und Tester.
  • Das Testergebnis ist unbeeinflusst von visuellen Eindrücken.
  • Es können nur wenige Wertprojektionen stattfinden.
  • Der Tester gestaltet den Test nach eigenem Gutdünken, so dass er sich besonders stark konzentrieren kann.
Die Nachteile des Individualtests sind mehr verfahrenstechnischer Art:
  • Da immer nur eine Person testet, dauert der Test umso länger, je größer der Testerkreis ist.
  • Um die Subjektivität des Tests nicht zu groß werden zu lassen, sollten mindestens alle Personen beteiligt werden, die später mit dem „Testsieger“ leben müssen.
  • Es erscheint den Testern oft lächerlich oder unnötig, als „blinde Kuh“.
  • mit einem Tuch vor den Augen oder, eleganter, mit einer eingefärbten, transparenten, aber undurchsichtigen Brille mit seitlicher Abdeckung (Schweißerbrille) – testen zu müssen.
  • Beim „Heimtest“ weiß natürlich mindestens eine Testperson, wie das Boxenfeld zusammengesetzt ist.
Dass HiFi-Studios mitunter wenig Interesse an Individualtests zeigen, ist verständlich: Weder entspricht der zeitliche Aufwand dieser Testmethode ihrer Kalkulation, noch haben sie in der Regel die Umschalttastatur in Reichweite des Kunden. Außerdem sind erkennbare Projektionen des potentiellen Käufers für den Verkäufer wertvolle Hilfen für das Verkaufsgespräch. Schließlich freut sich der Kaufmann, wenn eine teure Box den Interessenten allein schon durch ihr optisches Erscheinungsbild anspricht und damit zum Objekt unbewusster Qualitätsprojektion wird.

Trick und Manipulation

Manchen (unseriösen) Verkäufern gelingt es immer wieder, durch gezielte Test-Tricks den Käufer zu manipulieren. Hierzu einige Beispiele, die ich in der bundesweiten HiFi-Landschaft machen konnte:
  • Diejenige Box, an deren Verkauf man interessiert ist, wird als erste vorgeführt, oder immer etwas länger oder etwas lauter als die anderen.
  • Es wird mit außerordentlich hoher Lautstärke getestet.
  • Im Verlauf des Tests werden insgeheim die Lautstärken der verschiedenen Boxen etwas verändert.
  • Die Lautsprecher sind an qualitativ sehr unterschiedliche Verstärker angeschlossen.
  • Der Verkäufer drückt „engagiert“ oder „verstohlen“ sein Werturteil aus, z.B. durch entsprechendes Kopfnicken oder Zurschaustellung einer traurigen oder heiteren Miene.
  • Insgeheim werden Dynamikexpander oder Equalizer zu- bzw. abgeschaltet.
  • Die Umschaltintervalle sind viel zu kurz.
  • Der Verkäufer macht auf das Umschalten aufmerksam mit lenkenden Bemerkungen, wie „Achtungl Aber jetzt!“
Einen besonders raffinierten Trick erlebte ich in einem Discount-Laden: Ich bat um die Vorführung eines ganz bestimmten Lautsprechers (A). Der Verkäufer präsentierte bereitwillig die Box und schaltete nach etwa drei Minuten (das ist eine außergewöhnlich lange Hörzeit!) um mit der Bemerkung: „Vielleicht hören Sie sich auch einmal die Box (B) an.“ Dann ging das Umschalten zwischen (A) und (B) weiter. Aber Box (A) war immer etwas länger als Box (B) eingeschaltet und auch eine Spur lauter. Als ich zu erkennen gab, dass ich mir ein Urteil gebildet hätte und Box (A) vorzöge, lobhudelte der Umschalter: „Ja, die (A) ist schon ein Klasse-Lautsprecher. Sie haben nicht nur gute Ohren, sondern auch einen guten Geschmack. Darf ich Ihnen vielleicht noch eine ganz phantastische Platte auflegen?“ Er durfte, tat's und schaltete weiter. Plötzlich: Der Testleiter hebt den Tonarm ab, schlägt sich vor die Stirn, stöhnt, verrenkt Oberkörper und Nasolabialpartie zum Ausdruck entsetzlichen Bedauerns (zum entsetzlichen Ausdruck des Bedauerns, zum bedauerlichen Ausdruck des Entsetzens, zu entsetzlich bedauernswertem Ausdruck usw.) und gesteht, personifizierte Zerknirschtheit: „Oh, je! Da ist mir aber ein peinlicher Fehler unterlaufen. Hab' ich doch die beiden Boxen verwechselt! Box (B) war die von Ihnen gewünschte!“

Lassen Sie sich nicht an der Nase herumführen!

Was Sie jetzt über Notwendigkeit, Problematik und „neuralgische Punkte“ von Hörvergleichen wissen, befähigt sie, selber die Solidität eines Studios bzw. die Seriosität von Hörtests zu beurteilen. Dennoch erscheint es sinnvoll und praktisch, sozusagen in einer wiederholenden Zusammenfassung die wichtigsten Kriterien für Tests in HiFi-Studios als Merkregeln zu formulieren.

1. Prüfen Sie sorgfältig:
  • Ist der akustische Störpegel im Studio nicht unzumutbar hoch?
  • Werden Sie nicht durch andere Kunden, Verkaufsgespräche u.ä, in ihrer Konzentration gestört?
  • Nimmt sich der Verkäufer hinreichend Zeit für Sie?
  • Sind die Testlautsprecher sachgerecht bzw. so aufgestellt bzw. angeschlossen, dass sie sich möglichst wenig gegenseitig beeinflussen?
  • Läuft eine klanglich hervorragende Bezugsbox im Test mit?
  • Sind Aktivboxen nicht an Endverstärker, sondern an Vorverstärker angeschlossen?
  • Haben Plattenspieler und Lautsprecher keinen Körperkontakt, auch nicht indirekt, etwa über einen gemeinsamen Regalboden?
  • Steht der Plattenspieler nicht im direkten Schallfeld des Lautsprechers?
  • Sind bei Lautsprechertests die Programmquellen und Verstärker von höchster Qualität?
  • Sind keine Dynamikexpander, Equalizer, Rauschunterdrücker oder sonstige Geräte in die Vorführanlage eingeschleift?
  • Sind alle Testlautsprecher auf gleiche Lautstärke eingepegelt? Genau hinhören! Kritisch prüfen!
  • Sind am Verstärker alle Klangeinsteller in -Nullposition- bzw. abgeschaltet?
  • Ist die Loudness-Korrektur ausgeschaltet?
2. Bestimmen Sie selbst
  • wieviel Lautsprechermodelle Sie in einem Testdurchgang mireinander vergleichen wollen;
  • die Redezeit des HiFi-Beraters und die Art seiner Argumentation (Technik oder Musik);
  • die Art des Testmaterials (Schallplatten mitbringen oder beim Händler aussuchen!);
  • die Abhörlautstärke;
  • ggf. die Umschaltzeitpunkte und
  • die jeweilige Vergleichsbox!
3. Verlassen Sie sich im Zweifelsfall
  • auf Ihr Gehör,
  • auf Ihren „Geschmack“ (er wird sich ohnehin „verbessern“, wenn Sie eine gute Anlage kaufen),
  • auf den Rat eines Musikfreundes, der selber eine hochwettige Anlage besitzt und
  • auf die wundenheilende Zeit: Sparen Sie weiter an, wenn ihr Qualitätsanspruch höher ist als das im Augenblick für die Anlage eingeplante „Bankkonto“,
  • auf Ihr Gehör!
Im guten HiFi-Studio ist der Kunde König. Im schlechten ist der Vorführer ein Gott. „Auch Götter sterben, wenn niemand mehr an sie glaubt.“ (Jean-Paul Sartre)

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Rudolf
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Beitrag von Rudolf »

Heinz Josef Nisius ist am 15.05.2016 im Alter von 82 Jahren verstorben.

Heinz Josef Nisius' Buch HiFi hören ist eine maßgebliche Quelle der Inspiration für mich und für viele andere aktive Hörer. Er hat eine Position in der deutschen HiFi-Geschichte besetzt, die es so niemals mehr geben wird. Fernab von geschäftlichen Interessen verfolgte er in zahllosen Workshops die undogmatische Verbreitung von gesichertem HiFi-Wissen. Da mir leider nicht vergönnt war, ihn persönlich kennenzulernen, muss ich mich auf das beziehen, was mir sein Buch vermittelt hat. Heinz Josef Nisius war offensichtlich ein freundlicher und enthusiastischer Lehrmeister, der niemals aus den Augen verlor, worum es eigentlich geht: Musikreproduktion auf höchstem Niveau, fernab von geschmäcklerischem Hype.

Ich hoffe, dass auch künftige Generationen von HiFi-Hörern vom Lesen seines Buches profitieren werden. Wir von aktives-hoeren.de sind ihm jedenfalls zu großem Dank verpflichtet.

Viele Grüße
Rudolf
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